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Serie:
"Bühlertäler
des Monats"
Oktober 2009
Laubenstraße 62
Aussicht von der Laubenstraße 62
Doch drehen wir die Zeit zurück ins Jahr 1925 in dem Lina Lohmüller als 3. Kind von insgesamt 5 Kindern der Familie Lohmüller geboren wurde. Ihre Wiege stand im Anwesen Laubenstraße 62 im Untertal. Linas Mutter Anna stammte aus dem Untertal und war eine geborene Rohrhirsch. Der Vater Wilhelm kam vom Obertäler Zinken Schafhof und betrieb anfangs eine Mühle im Gebäude der Geiserschmiede, dort wo sich heute das Heimatmuseum der Gemeinde befindet. Ein Bruder von Lina fiel im 2. Weltkrieg, ein anderer wurde im Krieg als vermisst gemeldet. Die einzige Schwester verstarb in jungen Jahren an einer Krankheit. Von den Geschwistern überlebte nur der Bruder Heiner und Lina selbst.
Das Elternhaus wurde ungefähr 1903 erbaut,
so erinnert sich Lina - und wurde aber mehrmals umgebaut, zuletzt vor 25
Jahren. Ihre Mutter Anna bekam das Haus damals von einer ledigen und kinderlosen
Verwandten geschenkt und Lina wohnt ihr ganzes Leben darin. Zusammen
mit ihrem Bruder Heiner und dessen Familie hatte sie somit immer Familienanschluss.
Nach dem Tode von Heiner vor 4 Jahren habe sich an der familiären
Situation nichts geändert, so erzählt uns Lina. Sie und
die Schwägerin verstehen sich sehr gut, kochen zusammen und führen
den Haushalt weiterhin gemeinsam und gestalten ihre Freizeit.
Sie verstehen sich gut - Lina und ihre Schwägerin
Mit im Haus lebt auch der Neffe Detlef.
Als sie klein war, so berichtet uns Lina
Lohmüller weiter, seien die Zeiten schwer gewesen. Und so war eine
kinderreiche Familie auch meist eine sehr arme Familie, da der Vater alleine
das Geld für den Lebensunterhalt verdienen musste. In die Kinderschule
ging Lina nie, es musste daheim im Haushalt schon mit angepackt werden.
So erfahren wir auch von der sogenannten Kinderlandverschickung, die die
Gemeinden organisiert haben.
1934 Lina (ganz rechts) beim Heidelbeersuchen - ihre Mutter trägt
die Last auf dem Kopf
(zu diesem Bild gibt es einen Zeitungsbericht
von Gerhard Fritz von 2003)
Lina als Kränzelkind in der Mitte
Hier ist das ganze Bild: es handelt sich um die Doppelhochzeit der
Brüder Hörth vor dem Rebstock
In den Ferien wurde eine „Gastfamilie“ ausfindig gemacht, die gerne ein Kind bei sich aufnehmen wollte, um dieses in den Ferien zu versorgen. So kam es, dass man zu Fuß an den Bahnhof in Bühl laufen musste, versehen mit einen Kennkarte um den Hals, worauf die wichtigsten persönlichen Daten geschrieben standen. In einem Korb führte man lediglich ein paar Habseligkeiten mit sich. Die Reise ging für Lina nach Oberrothweil an den Kaiserstuhl. Dort am Bahnhof angekommen, wollte ei Bauer die damals sehr schmächtige Lina schon auf seinen Karren laden. Zum Glück sah das die Gattin eines Arztes. Die Arztfrau wollte Lina auch gerne aufnehmen und so einigte sie sich mit dem Bauern und Lina wurde so für 4 Wochen in dem Arzthaushalt regelrecht verwöhnt. Es sei sehr schön gewesen bei den Leuten. Man badete und frisierte sie und kaufte neue Kleidchen und andere Sachen zum Anziehen. Es gab gut und reichlich zu essen, so dass Lina an Gewicht zunahm. Außer das Geschirr abtrocknen musste sie nichts groß arbeiten, so erzählt uns Lina.
Lina bei der "Kinderlandverschickung" 1936 im Harz
Blick ins Untertal in den 30ern - aufgenommen von Lina
Blick zum Engelsberg und Sägewerk Kern - aufgenommen von Lina
In einem anderen Jahr wurde sie dann noch
einmal verschickt, diesmal in den Harz nach Halberstadt. Die dortige Gastfamilie,
eine Witwe mit 3 Buben, hätte eben auch gerne ein Mädchen gehabt.
So kam Lina für 4 Wochen zu dieser Familie. Es hat immer Spaß
gemacht so zu vereisen, denn ihre Eltern hätten nie das Geld gehabt,
ein Kind in die Ferien zu schicken. Und bei den Gastfamilien lernte man
auch eine Menge anderer Kinder kennen und konnte neue Kontakte knüpfen.
Lina besuchte die Volksschule im Untertal,
die Schulzeit betrug 8 Jahre und im letzten Jahr hatte man parallel Koch-
und Strickschule, um etwas fürs spätere Leben als Hausfrau zu
lernen. Wer jedoch nach der Schulzeit keine Lehrstelle hatte - die wenigsten
hatten das - der musste in einem Rüstungsbetrieb arbeiten.
In der Schule im Untertal - Lina in der 2. Reihe in der Mitte
1939 zeichnete sich bereits der nächste
Weltkrieg ab und so begann Lina Lohmüller in der Bühler Spankorbfabrik
Friedrich Kern, (heutiges Kauflandgelände) Tarnmatten aus Holz, Schnur
und Spänen herzustellen. Diese waren aber noch nicht in der Tarnfarbe
Olivgrün, das wurde in einem anderen Betrieb eingefärbt.
Danach musste sie zum Haushaltspflichtjahr
zu einer Familie nach Müllenbach. Dort bei Familie Hönig sollte
sie bei der Versorgung der drei Kinder mithelfen. Nach diesem Haushaltspflichtjahr
war inzwischen der 2. Weltkrieg ausgebrochen und Lina wurde
1942 als Marineflagghelferin nach Wilhelmshafen eingezogen. Am Bahnhof
in Bühl sei sie mit dem Zug in eine ungewisse Zukunft abgefahren.
In Wilhelmshafen
Zuerst habe man in Baracken gewohnt und
sei einigen Eignungstests unterzogen worden. Den Test im Fernschreiben
bestand sie allerdings nicht, da einige Finger immer wieder von den Tasten
abgerutscht seien. Weitere Tests ergaben, dass sie über ein sehr feines
Gehör verfügte und so wurde sie „zum Horchen“ verpflichtet. Man
setzte sogenannte Horchkappen auf und hörte, mit einem großen
Horchrohr verbunden, wenn sich feindlich Flugzeuge näherten.
Vor den Horchrohren
Lina als Marineflagghelferin mit Freundin
Vor den Horchrohren - Lina links hinten
In Wilhelmshafen sei es landschaftlich sehr
schön gewesen und sie habe auch zum ersten Mal das Meer gesehen. Jedoch
der ständige kräftige Wind sei sehr gewöhnungsbedürftig
gewesen, erzählt Lina. Sie lernte auch viele andere junge Frauen aus
ganz Deutschland kennen, mit denen sie nach einer gewissen Zeit aus
dem gleichen Schicksal heraus eine Freundschaft verband. Zwei Jahre habe
sie diese Arbeit als Marineflagghelferin verrichten müssen.
Nach der Kapitulation waren zuerst einmal auf den umliegenden Bauernhöfen
in Ostfriesland Kühe melken, Erntehilfe und Feldarbeit angesagt. Dafür
habe man Essen und eine Schlafstatt bekommen.
Im Jahre 1945 kehrte Lina dann wieder
heim nach Bühlertal in die nun französisch besetzte Heimat. Sie
musste sich beim Requisitionsamt melden und bekam eine Stelle beim französischen
Polizeikommandanten in der Hauptstraße zugeteilt.
Dort musste sie den Haushalt führen.
Lina hatte sich bald gut eingearbeitet. Als der Colonel mit seiner
Familie nach einigen Jahren nach Madagaskar versetzt werden sollte, wollte
man Lina dorthin auf die Insel mitnehmen. Dies scheiterte aber daran, dass
Linas Mutter nicht für eine Auswanderung zu begeistern war, denn Lina
und der Bruder Heiner waren die noch einzig verbliebenen Kinder nach dem
Krieg. Lina berichtet uns, wäre sie erst einmal weg gewesen, hätte
es wohl so schnell kein Zurück mehr gegeben und das ahnte die Mutter
auch.
Lina als Serviermädel
Und so nahm Linas Leben den weiteren Verlauf
in Bühlertal, denn der Mutter war inzwischen zu Ohren gekommen, dass
der neu niedergelassene Arzt Dr. Schäfer in Bühlertal eine Haushaltshilfe
suchte. Dr. Schäfer stammte aus Göppingen und seine Frau, die
auch Ärztin war, stammte aus Baden-Baden und war die Schwester der
Seniorchefin der Bäckerei Zimmermann.
Lina, damals 23 Jahre alt, stellte sich
bei Dr. Schäfer vor und wurde dann im Februar 1949 eingestellt. Die
Wohnung der Schäfers war zuerst ins Welle Schreiners in der Hauptstraße,
und die Praxis befand sich etwas weiter hoch die Straße im Hause
Pachel. Schäfers hatten 2 Mädchen zu dieser Zeit, bevor
sich die Familie um einen Jungen vergrößerte. Lina gehörte
also praktisch zur Familie, es wurde kein Unterschied zu den eigenen Kindern
gemacht. Lina aß mit am Tisch, kochte, führte den Haushalt,
hielt die Wäsche in Ordnung und versorgte den Sohn der Schäfers,
der wie ein eigenes Kind für sie war. Als im Bürogebäude
der Sägemühle Kern ( heute Haus des Gastes) die Praxis
von Zahnarzt Dr. Julius Kraus frei wurde, (dieser hatte einige Häuser
weiter oben in der Hauptstraße selbst gebaut), zogen die Schäfers
ins Bürogebäude ein und hatten somit Wohnung und Praxis unter
einem Dach. Lina packte auch hier kräftig mit an und ihr anfänglicher
Lohn betrug 60 DM. Sie arbeitete 7 Tage die Woche von morgens bis abends
bei Dr. Schäfer und war nie krank. Heute kann man sich so etwas gar
nicht mehr vorstellen, meint Lina.
1966 erwarb Dr. Schäfer ein Grundstück
von Bruno Ganter in der Katzenbachstraße und baute dort ein Wohnhaus
mit Praxis. Wieder zog Lina mit um an die neue Arbeitsstätte und lief
von nun an noch ein Stück weiter, denn sie hatte nie den Führerschein
gemacht und somit auch kein Fahrzeug. Also jeden Tag von der Laubenstraße
hoch ins Obertal zum Doktor und abends wieder zurück. 1983 im
September verstarb dann die Frau von Dr. Schäfer und die Praxis wurde
erst einmal geschlossen, da auch der Dr. Schäfer inzwischen
gesundheitlich angeschlagen war. Doch ein Nachfolger war bereits
in Sicht, der junge Dr. Zittel sollte Ende 1983 die Praxis von Dr. Schäfer
übernehmen und wieder eröffnen.
Lina beim Fest des Musikvereins mit Maler Stolz und Monika Fritz
Lina als Harlekin bei der Fastnacht 1965
Lina in Aktion beim Damenfußballspiel 1966 auf dem Mittelberg
Lina Lohmüller versorgte nun den Doktor
Schäfer weiterhin bis zu seinem Tod im Jahre 1996. Lina war somit
bei der Familie Schäfer ununterbrochen von 1949 bis 1996 mehr
als 47 Jahre lang. Nun versteht auch jeder, warum sie "Schäfers Lina"
genannt wurde. Nach so vielen Jahren war sie einfach ein Teil dieser Arztfamilie
geworden. Mittlerweile war sie selber 71 Jahre alt und jeden Tag lief sie
die Strecke hin und zurück von ihrem Haus im Untertal bis zu
Dr. Schäfer. Bei Wind und Wetter war sie unterwegs und man konnte
sie oft sehen, wenn man mit dem Auto ins Bühlertal fuhr. Ein kurzes
Gespräch mit Leuten auf dem Weg, immer fit und immer ein Lachen und
Winken, wenn sie jemanden kannte auf der Straße, so kennt man Lina.
Doch wer nun denkt, Lina wäre nach
dem Tod von Dr. Schäfer mit nunmehr 71 Jahren in den Ruhestand gegangen,
der irrt sich gewaltig. Lina Lohmüller putzte auch die Praxis, früher
schon bei Schäfers und nun auch bei Dr. Zittel, dem Nachfolger. Das
ging nahtlos weiter, täglich 2 Stunden. Im Jahre 1989 zog die Praxis
dann wieder in ein anderes Domizil. Dr. Zittel erwarb in einem neu erbauten
Haus in der Hauptstraße (ehemaliges Gasthaus Linde) eine eigene Praxis
und Lina reinigte von nun an dort die erweiterten Praxisräume. Von
1989 bis im Jahre 2006, also weitere 17 Jahre nach dem Tod von Dr.
Schäfer, stand Lina als Reinigungskraft in den Diensten von Dr. Zittel.
Dieser Dienst endete sozusagen eher unfreiwillig, denn Linas Arbeit
wurde durch einen Leistenbruch ein Ende gesetzt. So beschloss sie mit 81
Jahren, mit der Arbeit in der Praxis aufzuhören und endgültig
ganz in den Ruhestand zu gehen. Zum ersten Mal war sie nun im Leben krank,
und das mit 81 Jahren.
Da kann man wirklich stolz drauf sein, auf
ein so langes und gesundes (Arbeits-) Leben zurückblicken zu können.
Sehr, sehr wenigen Menschen ist das beschieden. Einmal im Leben,
so erinnert sich Lina Lohmüller dann doch noch, habe sie 3 Mark Krankengeld
bekommen, vom französischen Colonel, ein ausgekugelter Arm habe sie
beim Arbeiten gehindert.
Also seit 3 Jahren ist Lina nun zu Hause
und wir fragen natürlich voller Neugier, wie sie den Tag so verbringt,
so ganz ohne eine Praxis und ohne putzen. Sie nennt: Kuchen backen,
kochen, mit der Schwägerin zusammen spazieren gehen……… früher
habe sich auch gerne gestickt und Handarbeiten gefertigt.
Vor einigen Jahren fuhr Lina Lohmüller
auch gerne mit dem Reisebus in Urlaub zu Zielen in der Schweiz, Österreich,
und Deutschland.
Also immer in Bewegung muss sie sein, es
muss immer etwas gehen, sie braucht Leute um sich, zum Reden und einfach
zum gesellig sein. Die Arbeit habe sie immer fit und geistig rege gehalten
und sie sei immer ein Familienmensch gewesen, der Bruder Heiner hat 3 Kinder
mit Familien, und auch bei Schäfers sei sie immer in eine gute Familie
eingebunden gewesen, habe also eine eigene Familie nicht vermisst.
Nun fragen wir aber doch, warum Lina
nie geheiratet hat und ob wir darüber auch schreiben dürfen.
Also, das war so: einmal habe sie einen Freund gehabt und jener stammte
aus Nürnberg und war evangelisch. Als seine Mutter hörte, dass
er ein katholisches Mädel kennen gelernt habe, war sie nicht sehr
begeistert. Auf der Seite ihrer Familie traten weniger die religiösen
Gründe in den Vordergrund, sondern eher schon die praktischen. Linas
Vater hatte wohl einige Zwetschgenbäume und der junge Mann aus Nürnberg
sollte einmal die Leiter hoch am Zwetschgenbaum. Damit hatte dieser jedoch
einige Probleme und es haute nicht hin mit der Zwetschgenernte. Da verkündete
der Vater kurzerhand: „Einer wo der Quwetschebaum nit nuff kon, bruchsch
nim heim ins Hus bringe!“ ( einer wo den Zwetschgenbaum nicht hoch steigen
kann, braucht nicht mehr ins Haus zu kommen) Ja, das wars dann
mit der Liebschaft.
Lohmüllertreffen 2009 in Bühl
Lina Lohmüller ist auch mit dem Bühler
Fotografen Lohmüller verwandt, der ein Fotostudio betrieb. Auch sie
habe in jüngeren Jahren gerne fotografiert, aber leider gibt es die
meisten Bilder nicht mehr, da sie aus Platzgründen einmal viele entsorgt
hat. Wenn sie damals gewusst hätte, bedauert sie ihre Entscheidung,
dass es den Eichwälder und seine Homepage gibt und wir diese Fotos
gerne ins Archiv genommen hätten, so wären sie alle erhalten
geblieben. Ja schade, meint sie nachdenklich, aber daran ist nun nichts
mehr zu ändern.
Am Tag des Interviews ist Lina Lohmüller
wie wir sie einfach kennen, quirlig, lebendig, fit und geistig rege, fröhlich,
jung geblieben, ein interessanter Zeitzeuge, herzlich und einfach voller
Leben!!!
Wir wünschen Lina Lohmüller (Schäfers
Lina) weiterhin gute Gesundheit und noch viele Jahre voller Lebensfreude.
Vielen Dank an Lina und Elvi !