Gschichtle von früher
Das alles spielte sich vor über 60 Jahren
ab. Er ist mir in so guter Erinnerung und wir rätselten, warum er
in der Lage war, uns in der grössten Notzeit zu helfen. Lothar meinte:
"Er hatte sicher etwas mit Landwirtschaft
zu tun oder so was Ähnliches usw..."
Es sollte alles ganz anders kommen.
Ich wohne zwar in Karlsruhe, aber wie soll
ich nach dieser langen Zeit einen Mann namens Kief finden, er müsste
ja schon sehr alt sein, ob er überhaupt noch lebt?
Kurz entschlossen nehme ich noch am selben
Abend, wie ich das Foto in der Hand halte, das Telefonbuch und finde den
Namen Kief.
Was soll ich sagen, wie reagieren wildfremde
Menschen auf einen solchen Anruf?
Es meldet sich ein junger Mann, ist verständlicherweise
etwas skeptisch, fragt nach dem Vornamen, weiß ich nicht - und ich
erwähne auch noch unsere Vermutung mit der Landwirtschaft.
Alles falsch.
Ich versichere ihm, dass es sich um eine
seriöse Anfrage handelt, er gibt das Telefon weiter an seine Frau,
dann, glaube ich an seine Mutter. Ich rede wie ein Galgenpater.
"Moment, eben kommt unser Vater heim, sprechen
Sie mal mit ihm."
Der Vater, inzwischen hatte er schon etwas
mitbekommen, meldet sich mit den Worten:
"Sind Sie aus Bühl ?" (gemeint Bühlertal)
- "Ja"
"Sind Sie Fotograf?" - "Nein,
aber mein Bruder war Fotograf."
Das Eis war gebrochen, mein Anruf ins
Ungewisse entpuppte sich als Volltreffer !
Ich wurde sofort zu einem Besuch eingeladen,
um in aller Ruhe darüber zu reden, wie und warum sein Vater meinen
Bruder Walter kannte.
Nun finde ich auch die passende
Überschrift zu diesem Gschichtle:
Hamstern als Überlebenschance
in den ersten Nachkriegsjahren
Gestern Vormittag (11.6.Fronleichnam) war
ich zu Besuch bei der Familie Kief in Karlsruhe und ich konnte mich, besonders
mit dem Sohn dieses Herrn Walter Kief, darüber unterhalten, was sich
in der Notzeit nach 1945 so alles abspielte. Ich kann hier im Wesentlichen
nur bruchstückhaft berichten und muss mich darauf beschränken,
was meinen Bruder Walter und damit unsere Familie betrifft.
Nun ganz von vorn:
In den Hungerjahren der Nachkriegszeit gab
es nur eine einzige "gültige" Währung. Natürlich nicht irgendwelche
Scheine, sondern Lebensmittel jeder Art, Wäsche, Töpfe, Schnaps!!
usw. usw. kurzum alles war etwas wert, nur nicht das Geld.
In der französisch besetzten Zone
- etwa ab Malsch nach Süden (altes Land Baden ) war die Lage extrem
schlimm. Da die Franzosen selbst durch den furchtbaren Krieg in Not geraten
waren, blieb für ihre "Erzfeinde", die Deutschen, verständlicherweise
recht wenig übrig.
In weit besserer Lage waren die Menschen
in der (zuerst englischen ) amerikanischen Besatzungszone, eben in Karlsruhe.
Das war vielleicht der Grund, warum Walter als "Hamsterer" vor allem dort
sein Glück suchte.
Walter Ganter 1948
Walter hat als ältester Bruder sich
so sehr für die Familie eingesetzt, dass ich das hier besonders würdigen
möchte. So war er auch bis Messkirch unterwegs, meines Wissens u.a.
mit einem großen Koffer ganz aus Sperrholz!!!, den mein Vater kunstvoll
zusammengezimmert hatte. Quadratisch, praktisch, gut - sehr schwer, aber
stabil.
Holzkoffer aus der Nachkriegszeit
"Hamsterer-Rucksack"
Wir haben im Gespräch versucht zu ergründen,
warum Walter von Walter Kief diese Unterstützung bekam.
Version von Herrn Kief (68 Jahre alt, also
damals ein Kind):
"Die haben sich sicher schon als Soldaten
gekannt - wie sollte er einem anderen Hamsterer so helfen
.." und er zeigte mir Soldatenfotos.
Anruf bei Brunhilde:
"An diesen von Herrn Kief genannten Orten
war Walter nicht!"
Das spielt auch heute keine Rolle mehr.
Auch die Vermutung von Lothar, er hätte etwas mit Landwirtschaft zu
tun, erwies sich als falsch.
Es war folgendermaßen:
Herr Kief war bei der Herdfabrik Junker
und Ruh in Karlsruhe als Emailleur beschäftigt. Man stellte dort nicht
nur Herde her, sondern auch viele andere Gebrauchsgegenstände wie
Töpfe usw. Auch wurden beschädigte Töpfe gebracht, um sie
neu zu emaillieren.
Aus dem Kochbuch der Firma Junker und Ruh - 30er Jahre
Kurzum, Herr Kief hatte einen Zugang zu Gebrauchsgegenständen
und das war, wie oben gesagt, die einzige "gültige" Währung.
"Gibst du mir dieses, dann bekommst du jenes!"
Das alles hat mit Organisieren zu tun und
es gab (gibt) den Begriff "Schwarzmarkt". Aber ohne Schwarzmarkt nichts
zu essen.
Selbst wir Kinder tauschten wie z.B. eine
Lokomotive gegen Kompressor-Schläuche, die brauchten wir als Fahrrad-Bereifung.
Herr Kief erzählt:
"Mein Vater war darin ein Meister, er hat
dieses "Tauschgeschäft" verstanden, er hatte dafür ein Talent.
Er hat mit allem und allen gehandelt und getauscht und sich so über
Wasser gehalten."
Ein Glücksfall für uns, dass Walter
diesen Mann kennen gelernt hat, auf welche Weise auch immer, und durch
seine Hilfe unsere Versorgungslage etwas verbessern konnte.
Nun ein paar Einzelheiten zum besseren Verständnis
der damaligen Zeit:
Ein paar alte Töpfe, neu emailliert,
und diverse andere Gegenstände des täglichen Gebrauchs waren
den Bauern in der näheren und weiteren Umgebung von Karlsruhe lieber
als ein paar Geldscheine, auch wenn eine noch so große Zahl darauf
gedruckt gewesen wäre.
Und schon wurden Wurst, Speck, Milch und
Eier herausgerückt. Falls man selbst nicht alles verbrauchte, so hatte
er doch sehr wertvolle "Devisen" in der Hand und konnte sich damit alles
"erkaufen", was er für seine Familie brauchte.
Gute Währung
Etwas aus dem Zusammenhang herausgenommen:
Ein Trick beim Wiegen eines Schweines. Ein
großer Vorschlaghammer wurde zum Wiegen beim Westbahnhof mitgenommen.
Das Schwein auf einer "Stosskarre" (einachsiger Handwagen mit 2 Holmen
) wird auf die Brückenwaage geschoben.
"Wozu braucht ihr einen Vorschlaghammer??"
"Wenn die Sau verrückt spielt schlagen
wir sie gleich tot!!"
Von der Waage herunter, und der Vorschlaghammer
verschwand auf wundersame Weise unter der Karre und das Leergewicht war
um ca.6 kg schwerer. Die Sau also um 6 kg leichter und mit dieser Differenz
an Gewicht ließ sich etwas anfangen.
Noch eine interessante Sache.
Herr Kief war damals etwa 6 Jahre und ich
etwa 10 Jahre alt.
Wir beide haben diesen Vorfall, der sich
an der Grenze zwischen der franz. Zone und der amerik. Zone abspielte,
in so guter Erinnerung, weil immer mal wieder darüber gesprochen wurde.
Walter Kief und Walter Ganter waren mit
einem schon etwas größeren Ferkel, natürlich noch lebend,
im Zug !!! unterwegs.
Wie war das möglich?
Ein richtiger Hamsterer hatte natürlich auch Schnaps (die beste Währung). Also gaben die beiden dem Schweinchen so viel Schnaps zu saufen, dass es bald hinüber war und "verpackten" es in einen Koffer. Sie stiegen in den Zug, der die Zonengrenze überqueren sollte.
Flasche leer - Schweinchen "voll"!
Es drohten gleich zwei Gefahren:
Bestrafung wegen Schmuggel, und schlimmer,
das Schwein wird konfisziert.
Plötzlich fängt das Ferkel an
aus dem Koffer heraus zu grunzen und zu quieken!!
Letzte Rettung: sie warfen das Schwein aus
dem fahrenden Zug, merkten sich die "Abwurfstelle" gut, stiegen an der
nächsten Haltestelle aus, marschierten die weite Strecke zurück
und fanden den inhaltsschweren Koffer tatsächlich wieder.
Wie sie zu Fuß in die Heidenstücker
Siedlung kamen lässt sich nicht mehr ermitteln. Jedenfalls wurde das
Ferkel im Stall der Kiefs grossgezogen. Nach dem Schlachten bekam Walter
seinen Anteil.
Herr Kief hat uns auch eine sog. Dosenmaschine besorgt (siehe Gschichtle Nr.66 ). Erst jetzt, nachdem ich zu Besuch in Karlsruhe war und mich mit dem Sohn unterhalten konnte, ist mir klar, woher diese Maschine stammte, natürlich von der Herdfabrik Junker und Ruh.
Noch eine Anmerkung zum "Schweinetransport":
Die Personenwagen hatten keinen Durchgang
zu den einzelnen Abteilen. Jedes Abteil hatte eine eigene Außentüre.
So musste beispielsweise der Schaffner während der Fahrt aussteigen,
sich auf dem Trittbrett zur nächsten Türe hangeln, um ins nächste
Abteil zu kommen. Jeder Schaffner eine Art Stuntman.
Beim Verabschieden vor dem
Haus kamen mir einige Gedanken.
Vor über 60 Jahren war mein Bruder
Walter, der sich anfangs mit einer Kette und Ringen in diesen Kreis eingekauft
hatte, hier und wer hätte jemals gedacht, dass ich jetzt als sein
jüngster Bruder ebenfalls hier stehe. Nicht zu Fuß, nicht mit
einem Schwein im Koffer, nicht voller Hunger und Sorgen.
Ich komme locker mit Navi, lebe in guten
Verhältnissen wie es heute selbstverständlich ist und habe aber
nicht vergessen, was man in den schlechten Zeiten mitmachen und aushalten
musste.
Ich danke Herrn Kief und natürlich
auch seiner Frau recht herzlich dafür, dass man mich spontan zu einem
Gespräch eingeladen hat und aus dem anfänglich unscheinbaren
Foto wurde nun dieses Gschichtle über das "Hamstern".
Herr Kief mit Frau bei uns zu Besuch (in
der Mitte), rechts meine Eltern und Lothar, links Hubert und Bruno und
Onkel u.Tante aus Ersingen.
Links Ehepaar Kief, Jakob Bäuerle (Haaberg),
Stiefgrossvater Josef Seebacher, Schuhmacher Stricker ,Eugen Pfeffinger
und Hubert und Lothar.
Rechts Familie Kief - Im Hintergrund der junge Hubert
Vielen Dank an Hubert !
Junker und Ruh - Nähmaschine
Gasherd
Aktie von 1924
siehe
auch Prospekt der Firma Junker und Ruh - Gasherde (16.8.09)