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Gschichtle von früher



Gschichtle 96:
Gschichtle (zunächst) ohne Überschrift !
 von Hubert Ganter
(18.7.09)


Kürzlich schreibt mir Martin, er hätte noch ein paar Fotos gefunden, die er aber nicht zuordnen könnte und er würde nur einige der abgebildeten Personen kennen, wie z.B. Walter und Lothar.
"Ich sende Dir die Fotos, vielleicht weißt Du darüber Bescheid und könntest u.U. auch etwas darüber berichten."
Und ob ich etwas berichten kann!
Neben den Fotos, die zumindest für den Moment keinen Stoff für ein Gschichtle ergeben, sehe ich auf einem Foto, wie mein Bruder Lothar in unserem Hof vor dem Bienenhaus einem fremden Mann die Haare schneidet.
Und das war´s !!

Eine Flut von Erinnerungen überkommt mich beim Anblick dieses unscheinbaren Fotos, an das ich mich aber als solches nicht erinnern kann.
Aber an den fremden Mann schon.
Das ist Herr Kief aus Karlsruhe!!
Um ganz sicher zu gehen, rufe ich umgehend Lothar an und er bestätigt mir:
"Ja, ich habe Herrn Kief die Haare geschnitten."

Lothar 1948

Das alles spielte sich vor über 60 Jahren ab. Er ist mir in so guter Erinnerung und wir rätselten, warum er in der Lage war, uns in der grössten Notzeit zu helfen. Lothar meinte:
"Er hatte sicher etwas mit Landwirtschaft zu tun oder so was Ähnliches usw..."

Es sollte alles ganz anders kommen.

Ich wohne zwar in Karlsruhe, aber wie soll ich nach dieser langen Zeit einen Mann namens Kief finden, er müsste ja schon sehr alt sein, ob er überhaupt noch lebt?
Kurz entschlossen nehme ich noch am selben Abend, wie ich das Foto in der Hand halte, das Telefonbuch und finde den Namen Kief.
Was soll ich sagen, wie reagieren wildfremde Menschen auf einen solchen Anruf?
Es meldet sich ein junger Mann, ist verständlicherweise etwas skeptisch, fragt nach dem Vornamen, weiß ich nicht - und ich erwähne auch noch unsere Vermutung mit der Landwirtschaft.
Alles falsch.
Ich versichere ihm, dass es sich um eine seriöse Anfrage handelt, er gibt das Telefon weiter an seine Frau, dann, glaube ich an seine Mutter. Ich rede wie ein Galgenpater.

"Moment, eben kommt unser Vater heim, sprechen Sie mal mit ihm."
Der Vater, inzwischen hatte er schon etwas mitbekommen, meldet sich mit den Worten:
"Sind Sie aus Bühl ?" (gemeint Bühlertal)   -     "Ja"
"Sind Sie Fotograf?"  -  "Nein, aber mein Bruder war Fotograf."
Das Eis war gebrochen, mein Anruf ins Ungewisse entpuppte sich als Volltreffer !

Ich wurde sofort zu einem Besuch eingeladen, um in aller Ruhe darüber zu reden, wie und warum sein Vater meinen Bruder Walter kannte.
Nun finde ich auch die passende Überschrift zu diesem Gschichtle:
Hamstern als Überlebenschance in den ersten Nachkriegsjahren
Gestern Vormittag (11.6.Fronleichnam) war ich zu Besuch bei der Familie Kief in Karlsruhe und ich konnte mich, besonders mit dem Sohn dieses Herrn Walter Kief, darüber unterhalten, was sich in der Notzeit nach 1945 so alles abspielte. Ich kann hier im Wesentlichen nur bruchstückhaft berichten und muss mich darauf beschränken, was meinen Bruder Walter und damit unsere Familie betrifft.

Nun ganz von vorn:
In den Hungerjahren der Nachkriegszeit gab es nur eine einzige "gültige" Währung. Natürlich nicht irgendwelche Scheine, sondern Lebensmittel jeder Art, Wäsche, Töpfe, Schnaps!! usw. usw. kurzum alles war etwas wert, nur nicht das Geld.
In der französisch besetzten Zone  - etwa ab Malsch nach Süden (altes Land Baden ) war die Lage extrem schlimm. Da die Franzosen selbst durch den furchtbaren Krieg in Not geraten waren, blieb für ihre "Erzfeinde", die Deutschen, verständlicherweise recht wenig übrig.
In weit besserer Lage waren die Menschen in der (zuerst englischen ) amerikanischen Besatzungszone, eben in Karlsruhe. Das war vielleicht der Grund, warum Walter als "Hamsterer" vor allem dort sein Glück suchte.

Walter Ganter 1948
Walter hat als ältester Bruder sich so sehr für die Familie eingesetzt, dass ich das hier besonders würdigen möchte. So war er auch bis Messkirch unterwegs, meines Wissens u.a. mit einem großen Koffer ganz aus Sperrholz!!!, den mein Vater kunstvoll zusammengezimmert hatte. Quadratisch, praktisch, gut - sehr schwer, aber stabil.

Holzkoffer aus der Nachkriegszeit


"Hamsterer-Rucksack"

Wir haben im Gespräch versucht zu ergründen, warum Walter von Walter Kief diese Unterstützung bekam.
Version von Herrn Kief (68 Jahre alt, also damals ein Kind):
"Die haben sich sicher schon als Soldaten gekannt  -  wie sollte er einem anderen Hamsterer so helfen  .." und er zeigte mir Soldatenfotos.

Anruf bei Brunhilde:
"An diesen von Herrn Kief genannten Orten war Walter nicht!"
Das spielt auch heute keine Rolle mehr. Auch die Vermutung von Lothar, er hätte etwas mit Landwirtschaft zu tun, erwies sich als falsch.

Es war folgendermaßen:
Herr Kief war bei der Herdfabrik Junker und Ruh in Karlsruhe als Emailleur beschäftigt. Man stellte dort nicht nur Herde her, sondern auch viele andere Gebrauchsgegenstände wie Töpfe usw. Auch wurden beschädigte Töpfe gebracht, um sie neu zu emaillieren.


Aus dem Kochbuch der Firma Junker und Ruh - 30er Jahre

Kurzum, Herr Kief hatte einen Zugang zu Gebrauchsgegenständen und das war, wie oben gesagt, die einzige "gültige" Währung.
"Gibst du mir dieses, dann bekommst du jenes!"
Das alles hat mit Organisieren zu tun und es gab (gibt) den Begriff "Schwarzmarkt". Aber ohne Schwarzmarkt nichts zu essen.

Selbst wir Kinder tauschten wie z.B. eine Lokomotive gegen Kompressor-Schläuche, die brauchten wir als Fahrrad-Bereifung.
Herr Kief erzählt:
"Mein Vater war darin ein Meister, er hat dieses "Tauschgeschäft" verstanden, er hatte dafür ein Talent. Er hat mit allem und allen gehandelt und getauscht und sich so über Wasser gehalten."
Ein Glücksfall für uns, dass Walter diesen Mann kennen gelernt hat, auf welche Weise auch immer, und durch seine Hilfe unsere Versorgungslage etwas verbessern konnte.
Nun ein paar Einzelheiten zum besseren Verständnis der damaligen Zeit:
Ein paar alte Töpfe, neu emailliert, und diverse andere Gegenstände des täglichen Gebrauchs waren den Bauern in der näheren und weiteren Umgebung von Karlsruhe lieber als ein paar Geldscheine, auch wenn eine noch so große Zahl darauf gedruckt gewesen wäre.
Und schon wurden Wurst, Speck, Milch und Eier herausgerückt. Falls man selbst nicht alles verbrauchte, so hatte er doch sehr wertvolle "Devisen" in der Hand und konnte sich damit alles "erkaufen", was er für seine Familie brauchte.

Gute Währung

Etwas aus dem Zusammenhang herausgenommen:
Ein Trick beim Wiegen eines Schweines. Ein großer Vorschlaghammer wurde zum Wiegen beim Westbahnhof mitgenommen. Das Schwein auf einer "Stosskarre" (einachsiger Handwagen mit 2 Holmen ) wird auf die Brückenwaage geschoben.
"Wozu braucht ihr einen Vorschlaghammer??"
"Wenn die Sau verrückt spielt schlagen wir sie gleich tot!!"
Von der Waage herunter, und der Vorschlaghammer verschwand auf wundersame Weise unter der Karre und das Leergewicht war um ca.6 kg schwerer. Die Sau also um 6 kg leichter und mit dieser Differenz an Gewicht ließ sich etwas anfangen.

Noch eine interessante Sache.
Herr Kief war damals etwa 6 Jahre und ich etwa 10 Jahre alt.
Wir beide haben diesen Vorfall, der sich an der Grenze zwischen der franz. Zone und der amerik. Zone abspielte, in so guter Erinnerung, weil immer mal wieder darüber gesprochen wurde.
Walter Kief und Walter Ganter waren mit einem schon etwas größeren Ferkel, natürlich noch lebend, im Zug !!! unterwegs.

Wie war das möglich?

Ein richtiger Hamsterer hatte natürlich auch Schnaps (die beste Währung). Also gaben die beiden dem Schweinchen so viel Schnaps zu saufen, dass es bald hinüber war und "verpackten" es in einen Koffer. Sie stiegen in den Zug, der die Zonengrenze überqueren sollte.


Flasche leer - Schweinchen "voll"!

Es drohten gleich zwei Gefahren:
Bestrafung wegen Schmuggel, und schlimmer, das Schwein wird konfisziert.
Plötzlich fängt das Ferkel an aus dem Koffer heraus zu grunzen und zu quieken!!
Letzte Rettung: sie warfen das Schwein aus dem fahrenden Zug, merkten sich die "Abwurfstelle" gut, stiegen an der nächsten Haltestelle aus, marschierten die weite Strecke zurück und fanden den inhaltsschweren Koffer tatsächlich wieder.
Wie sie zu Fuß in die Heidenstücker Siedlung kamen lässt sich nicht mehr ermitteln. Jedenfalls wurde das Ferkel im Stall der Kiefs grossgezogen. Nach dem Schlachten bekam Walter seinen Anteil.

Herr Kief hat uns auch eine sog. Dosenmaschine besorgt (siehe Gschichtle Nr.66 ). Erst jetzt, nachdem ich zu Besuch in Karlsruhe war und mich mit dem Sohn unterhalten konnte, ist mir klar, woher diese Maschine stammte, natürlich von der Herdfabrik Junker und Ruh.

Noch eine Anmerkung zum "Schweinetransport":
Die Personenwagen hatten keinen Durchgang zu den einzelnen Abteilen. Jedes Abteil hatte eine eigene Außentüre. So musste beispielsweise der Schaffner während der Fahrt aussteigen, sich auf dem Trittbrett zur nächsten Türe hangeln, um ins nächste Abteil zu kommen. Jeder Schaffner eine Art Stuntman.

Beim Verabschieden vor dem Haus kamen mir einige Gedanken.
Vor über 60 Jahren war mein Bruder Walter, der sich anfangs mit einer Kette und Ringen in diesen Kreis eingekauft hatte, hier und wer hätte jemals gedacht, dass ich jetzt als sein jüngster Bruder ebenfalls hier stehe. Nicht zu Fuß, nicht mit einem Schwein im Koffer, nicht voller Hunger und Sorgen.
Ich komme locker mit Navi, lebe in guten Verhältnissen wie es heute selbstverständlich ist und habe aber nicht vergessen, was man in den schlechten Zeiten mitmachen und aushalten musste.
Ich danke Herrn Kief und natürlich auch seiner Frau recht herzlich dafür, dass man mich spontan zu einem Gespräch eingeladen hat und aus dem anfänglich unscheinbaren Foto wurde nun dieses Gschichtle über das "Hamstern".


Herr Kief mit Frau bei uns zu Besuch (in der Mitte), rechts meine Eltern und Lothar, links Hubert und Bruno und Onkel u.Tante aus Ersingen.


Links Ehepaar Kief, Jakob Bäuerle (Haaberg), Stiefgrossvater Josef Seebacher, Schuhmacher Stricker ,Eugen Pfeffinger und Hubert und Lothar.


Rechts Familie Kief - Im Hintergrund der junge Hubert

Vielen Dank an Hubert !



Nachtrag zur Firma Junker und Ruh:
Die Gründung erfolgte am 12.3.1921. Übernommen wurde dabei das bereits seit dem 1870 bestehende Unternehmen "Junker & Ruh". Hergestellt wurden Maschinen, Nähmaschinen und Geräte für den Küchenbedarf. Spezialisierung auf Gasküchengeräte. In den 1960er jahren übernahm die Firma "Neff" den Betrieb, die danach von der "AEG" gekauft wurde. Um die eigene Krise zu bewältigen, wollte die "AEG" die "Neff" in Konkurs gehen lassen. Als Resultat daraus wurde diese von der "Bosch-Siemens-Hausgeräte GmbH" gekauft. Der Name Neff blieb.


Junker und Ruh - Nähmaschine


Gasherd


Aktie von 1924

siehe auch Prospekt der Firma Junker und Ruh - Gasherde (16.8.09)



Gschichtle 97:
Heimatkunde vor über 60 Jahren
 von Hubert Ganter
(25.7.09)
 
 
 

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