Gschichtle von früher
Martin ist ein recht freundlicher Mann, schickt
er mir doch kostenlos irgendwelche Fotos und setzt damit mein Gehirn in
Schwingungen. Er meint, ich hätte meine "kreative Phase" und mir würde
schon etwas Passendes zu den Fotos einfallen.
Das war in besonderem Masse bei einem Foto
der Fall und es entstand spontan das Gschichtle von den "Hamsterern".
Kommentare zu weiteren Bildern werden allerdings nicht so umfangreich ausfallen.
Dieses Foto ist auch der Auslöser dafür,
dass ich noch einmal in Form von "Gedankensplittern" ein bisschen von der
unmittelbaren Nachkriegszeit erzählen will.
Es sind Banalitäten, nichts Umwerfendes,
aber so, wie durch kleine Mosaiksteinchen ein Bild entsteht, so entsteht
durch diese "Splitter" eine gewisse Vorstellung von den damaligen Umständen,
Zuständen und sie sind evtl. auch ein bisschen unterhaltsam.
Autokennzeichen:
Die amtlichen Autokennzeichen hatten nicht
BH und, wie später RA auf dem Nummernschild, sonder FB 23, d.h.
Französich Besetzte Zone
Schulnoten:
Die Schulnoten wurden auf das französische
System umgestellt. Die Punktzahl reichte von 0 Punkten ( 6 ) bis zu 20
Punkten ( 1 ). Dieses System ist wohl allen bekannt, war aber für
uns Schüler eine gewaltige Umstellung und sehr gewöhnungsbedürftig,
aber unserem System weit überlegen und genauer. Dass man auch Schuhe,
Kleidung usw. auf "Punkte" bekam gab zu vielen Spässchen Anlass, aber
meine relativ vielen Punkte brachten mir in dieser Hinsicht nichts ein.
Rote Lippen:
Beim Gasthaus "Zum Waldeck" sah ich zum
ersten Mal in meinem Leben, dass eine Offiziersfrau auffallend rote Lippen
hatte. Ich war offensichtlich so beeindruckt, dass ich das sofort meiner
Mutter berichtet habe, die darauf meinte: "Das machen die Frauen in Frankreich
halt so! "Nebenbei bemerkt: Dass eine einzige "deutsche Frau" bald auch
rote Lippen hatte weiß ich noch heute ganz genau.
"Grenzzwischenfall":
Ich fuhr mit meinem Fahrrad - schwarz,
schwer, schaltungsfrei - nach Ersingen. Nach Karlsruhe, dann nach rechts
abbiegen !! das waren meine Ortskenntnisse. An der ersten großen
Kreuzung bog ich ab, kam nach großen Strapazen irgendwann in Richtung
Pforzheim und musste wieder, allerdings dann bergab!! zurück nach
Ersingen. Auf der geraden Strecke zwischen Rastatt und Ettlingen, etwa
Höhe Malsch, sah ich eine riesengroße Tafel mit einer "unleserlichen"
Aufschrift, bei deren Studium ich von der Strasse abkam und in den Graben
stürzte. Es blieb bei einigen Schrammen und ich konnte die Fahrt fortsetzen.
Es handelte sich um die Zonengrenze zwischen der französischen und
amerikanischen Besatzungszone. Auf diese Weise kann man etwas besonders
gut im Gedächtnis behalten.
Pistole:
Lothar war auf dem Längenberg und eine
Frau (eines Studienrates) schenkte !!! ihm ganz freundlich das Buch "Mein
Kampf !!!", einen original russischen Degen, eingefettet und garantiert
rostfrei und prächtig ausgestattet und auch noch eine kleine Pistole!!!
Zu unserem Glück kam mein Vater - die
französischen Truppen waren schon in Rastatt - vom Volkssturm nach
Hause und hat voller Entsetzen die Geschenke dieser vornehmen (ausgesprochen
unverschämten und gemeinen !!) Dame gesehen und sie schleunigst beseitigt.
Der Besitz solcher Gegenstände hatte sehr weit reichende und unabsehbare
Folgen.
Was mein Vater allerdings nicht wusste:
Lothar hat die Lunte wohl gerochen, wollte
aber unter allen Umständen die Pistole behalten und brauchte dafür
ein absolut sicheres Versteck.
Und das hat er auch gefunden.
Er schraubte den Glasschirm unter der Lampe
ab und legte dieses "Goldstück von Pistole" in die Lampe.
Die marokkanischen Soldaten mit Umhang und
Turban sitzen bei uns am Tisch bei einer saftigen Hammelkeule - ich
saß dazwischen und durfte kräftig mitessen - und, dem
Himmel sei Dank, es war schön hell und niemand kam auf die Idee, das
Licht einzuschalten.
Verhaften und einsperren wäre das Mindeste
gewesen.
In Ganters Esszimmer - von der Lampe sieht man nur den Schmuck - Links
Kaplan Böhe und Pfarrer Schneble
Schwarzhören:
Es war unter Strafandrohung strengstens
verboten, einen ausländischen Sender zu hören. Die Leute bekamen
ausschließlich zensierte und für Deutschland grundsätzlich
positiv ausfallende Meldungen zu hören. Es hätte sich auch niemand
getraut, auch nur den nächsten Bekannten vom gelegentlichen "Schwarzhören"
zu erzählen.
Bei uns im OG, in einem sehr großen
Raum (Fotoatelier), war ein Offiziersstab mit unendlich vielen Landkarten
u.ä. einquartiert. Ein noch junger Offizier wohnte auch noch bei uns
im Hause. Während unsere Schlafzimmer im dritten Stock waren, war
unsere Küche im ersten Stock. Lothar plagte eines Nachts der Durst
so sehr, dass er mitten in der Nacht aufstand, um in der Küche Wasser
zu trinken. Er hörte Stimmen und verhielt sich klugerweise ganz ruhig.
Durch die nur angelehnte Türe sah er den jungen Soldaten, wie er vor
dem Volksempfänger sitzt und einen "Fremdsender" hört (engl.Sender
in deutscher Sprache). Man denke an die noch relativ harmlosen Beeinträchtigungen
und Irreführungen in der ehemaligen DDR im Vergleich zum Hitlerregime.
Eichwald in der Nachkriegszeit
Lothar und Sepp Schindler in den Nachkriegsjahren
Hemdenstoff:
Wenn man auf Umwegen zu einem Stück
Hemdenstoff in der jetzt verhassten und verbotenen Farbe kam, so war er
zunächst wertlos. Erst durch das Färben - wie und mit welchen
Mitteln weiß ich nicht mehr - war er zu gebrauchen.
Und aus einem solchen "im Wert gesteigerten Stoff" wurden für Bruno
und mich Hemden gefertigt. Es war Frau Schindler, die sich nicht erweichen
liess, die Hemden zumindest etwas kürzer zu schneidern, damit sie
nicht aus der kurzen Hose herausschauen. Über kurze Hosen und die
dazu nötigen Strümpfe (Winter gab es auch ) habe ich schon mal
berichtet. Die erste lange Hose gab es allenfalls zur Kommunion oder dann
zur Schulentlassung.
Man könnte einen kleinen Vergleich
mit dem "Mode-Terror" der heutigen Schüler untereinander anstellen.
Schülerspeisung
Fotografieren:
Die Marokkaner stürmten regelrecht
unseren Laden, alle wollten sie Kameras um einfach darauf loszuknipsen.
Dass man einen Film in diesen Kasten "einspannen" musste, das wussten sie.
Aber sonst nichts, vielleicht hatten sie vorher noch nie eine Kamera gesehen.
Von Blende, Geschwindigkeit, Entfernung keine Ahnung. Sie knipsten, was
das Zeug hielt, brachten die Apparate zurück und nach dem Entwickeln
sah man das Ergebnis: Nichts Verwertbares!
Sie waren sehr aufgebracht, es war von Sabotage
die Rede und die Situation spitzte sich zu. Zum Glück konnte ein Nachbar
(Fräulein Strehlin?, Vikar Duffner ? o.a.) ein paar Worte Französisch
und konnte die prekäre Lage entschärfen.
Kirche:
Die Kapelle in unserem Internat, schon eher
als Kirche zu bezeichnen (früher Priesterseminar) war sonntags für
die französischen Offiziersfamilien reserviert. Vor unseren Zimmern
standen die schönen Autos der Franzosen, für uns armen Teufel
als Schüler nichts, als ein nie in Erfüllung gehender Traum.
Unsere heutige Mobilität einfach unvorstellbar.
Arbeitsplätze:
In der Not hat sich Lothar zusammen mit
Wolfgang Bühlichen bei der Firma Getränke Schrimpf in Bühl
(Johann -Frass-Str.) ein paar Mark verdienen können. Dort wurde neben
Sprudel und anderen Getränken auch Bier aus großen Fässern
in Flaschen abgefüllt. Lothar verweist ausdrücklich darauf hin,
es waren 0,7 Liter Flaschen, ein damals gebräuchliches Mass. Das Schöne
bei der Sache war, dass sie genug Bier zu trinken bekamen und Bier ist
bekanntlich eine Art flüssiger Nahrung.
Interessant: Auf diesem ehemaligen Firmengelände
wurden in neuerer Zeit zwei große Wohnhäuser errichtet, und
in einem habe ich vorübergehend gewohnt.
Auch das Pflanzensetzen war eine Arbeitsmöglichkeit.
So war er damit beschäftigt z.B. unterhalb der Bühlerhöhe
Tannen zu setzen, die der Sturm Lothar - ein Namensvetter!!! dazu noch
- umgelegt hat. Der eine Lothar setzt die Pflanzen, der andere Lothar weiß
nichts Besseres als sie einfach umzulegen. So ist es nun einmal.
Es wird angepflanzt - an der Schwarzwaldhochstraße
Häuser statt Panzer-Übungsgelände:
Zum Schluss: Wo früher die amerikanischen
Panzer stationiert waren und ihre Übungsfahrten absolvierten, genau
da steht nun unser neues Haus (Konversionsgebiet und neues Stadtviertel
wie in Bühl). Vom Schreibtisch aus kann ich den Zaun sehen, hinter
dem heute gelegentlich deutsche Panzer verladen werden. Es ist hier alles
sehr ruhig und friedlich.
Als Kind habe ich einen vom fahrenden Kampfpanzer
heruntergefallenen Krummsäbel hinaufgereicht und man hat gegen mich
zurückgeschlagen.
Wie sehr hat sich doch alles zum Guten gewendet.
Vielen Dank an Hubert !