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Gschichtle von früher



Gschichtle 100:
Die Kirche auf dem Hungerberg
 von Hubert Ganter
(15.8.09)


Am Tag der Jubiläen im Eichwald:
1. Heute vor 101 Jahren wurde die Notkirche im Eichwald geweiht:
2. Heute vor 72 Jahren wurde die Liebfrauenkirche eingeweiht.
 siehe Artikel von Edith Horcher  vor zwei Jahren
3. Unser 100. Gschichtle heute aus dem Eichwald (Danke Hubert) !!!!!! und dieses Gschichtle handelt eben gerade von diesen
beiden Kirchen !



Eine nachträgliche Betrachtung, sowohl zeitlich als auch räumlich weit entfernt, für mich dennoch immer aktuell.

Martin schickte mir einige unbekannte Fotos in der Annahme, ich würde die Personen kennen und vielleicht sogar einiges über sie schreiben können. Das eine zeigt einen recht stattlichen Mann mit einem schwarzen Hut, mit einem Graskorb, offensichtlich bei der Gartenarbeit.

Ich habe diesen Mann noch nie gesehen, dafür bin ich einfach zu jung! Aber ich habe ihn dennoch auf den ersten Blick identifiziert und erst recht ging es Lothar so, als ich ihn in Neuenburg besucht habe und ihm, neben meinen Gschichtle, diese Foto präsentiert habe.
Ich kenne ihn so gut, weil meine Eltern so oft und so viel über ihn gesprochen haben, dass er sich in mein Gedächtnis förmlich eingegraben hat.
Um meine Ausführungen überhaupt verstehen zu können bedarf es einer kleinen Vorgeschichte.
Mein Vater hat mit unsäglicher Mühe und Entbehrungen auf dem Längenberg ein kleines Haus gebaut. Nachdem er im Steinbruch Contini die Steine selbst zugerichtet hatte, hat er die Grundmauern eigenhändig und ohne den Einsatz heutiger Maschinen errichtet. Damit nicht genug.

Längenberg in den 50ern


Frieda und Johann Ganter (hinten) am Längenberg
Die Großmutter und der Stiefgroßvater von Hubert.

Selbst sämtliche Zimmermannsarbeit und alles andere war seiner Hände Arbeit. Zu dieser Zeit betrieb er im heutigen Haus Schindler (Villa Contini) eine Friseurstube.

Das Schild am Haus Schindler (Villa Contini) weist auf die Frisierstube Ganter hin.

Schon Anfang der 3o er Jahre war der Eichwald ein kleines Zentrum. Dort gab es schon Geschäfte und vor allem war dort als absoluter Mittelpunkt die Notkirche. Welche Geschäfte dort waren, habe ich im Gschichtle Nr.55 in Reimform aufgezählt wo es da heißt:
"Hier ein leidenschaftliches Plädoyer für den Standort Eichwald"
Angefangen von  "Wurst und Speck" bis zum Satz:
"Warum musst´ die Kirche weg?"
habe ich dargestellt, dass der Eichwald damals, verglichen mit anderen Zinken des Ortes, tatsächlich ein kleines Zentrum war.

Die ersten beiden Häuser neben der Notkirche im Eichwald 1908 - danach entstand ein richtiges Zentrum

Folgerichtig haben sich meine Eltern entschlossen, sich ein zweites Mal alle Mühen, Entbehrungen und Strapazen aufzuerlegen, um im "Zentrum", direkt neben der Kirche, ein Haus, nein, ein Geschäftshaus zu errichten.
Das war in den Jahren 1929/3o.

Das Haus Ganter im Bau 1929

Die Nachbarschaft zur Kirche war für einen Fotografen besonders attraktiv. Dass zur Kirche auch ein Wirtshaus gehört ist so selbstverständlich und überall in Deutschland der Fall, dass ich es nicht erwähnen müsste. Oder könnte mir jemand von euch einen Ort nennen, in dem neben der Ortskirche keine "Wirtschaft" zu finden ist?

Geschäftswelt des Eichwaldes in den 30ern: Gasthaus Eichwald, Metzgerei Pfeffinger, Gemischtwaren und Brennstoffhandel Weck, Friseur und Photograph Ganter

Aber für einen Fotografen kommt hinzu, dass die Kunden sich natürlich in bester Kleidung "ablichten" lassen wollen, und welcher Zeitpunkt wäre da besser geeignet, als der Sonntagmorgen nach der "Kirche" zu Ganters zu gehen?

Friseur und Fotogeschäft: Johann und Frieda Ganter und ein angestellter Friseur

Kaum war das Haus fertig kamen einige honorige Herren auf die Idee, die Kirche muss auf den Hungerberg. Dass das Pfarrhaus schon da stand und die Pläne für die neue Kirche schon fertig waren, spielte wohl keine Rolle. Ich komme nicht umhin, Gedanken los zu werden, die ein anderer nur schwer versteht: So war das Pfarrhaus damals ein unglaublich teuer und aufwändig gebautes Haus, selbst der Holzschopf war aus ganz exakt und fein zugehauenen Granitsteinen bis hinauf zum Giebel gemauert und wenn ich in diesem Zusammenhang daran denke, wie mein Vater die Steine selbst zugehauen hat und wie unzählige andere Bauherren sich ein Leben lang krummgelegt haben, um zu einem eigenen Heim zu kommen, so erfasst mich noch heute die Emotion, diese Zeilen zu schreiben.

1909 gebaut das Pfarrhaus mit "Schopf" aus Granit.


30er: So gehört es sich: Pfarrhaus und Kiche nebeneinander, rechts oben der "leere Hungerberg"

Die Person auf dem alten Foto ist Herr Pfarrer Engesser, der spätere Stadtpfarrer von Singen. Er hat die Trommeln gerührt, die neue Kirche auf den Hungerberg zu bauen. Aber nicht nur er war die treibende Kraft, den Gemeinderat auf diese Linie zu bringen, vielmehr war es eine Privatperson, die das große Sagen hatte und, natürlich mit Geld (was sonst zählt wirklich?) es erreicht hat, ganz persönliche Wünsche und Ansichten durchzusetzen. Ich weiß darüber aus verschiedenen Quellen, der Name spielt jetzt keine Rolle mehr, lassen wir "die Kirche im Dorf", man kann ohnehin nichts mehr ändern und wie heißt es so schön und einprägsam:
"So sei es!" in Kurzform: "Amen!"

Eichwald in den 30ern


Die Notkirche


Bergseite der Notkirche



Der Grundstein am Hungerberg wird 1936 gelegt


Das Ende der Kirche im Eichwald naht.


Das Bauwerk auf dem Hungerberg wächst.


Herbst 1937


Das Ende im Januar 1938


50er: Auf dem früheren Gelände der Notkirche ist die Firma Schmidt entstanden.


Es hätte genügend Platz für eine größere Kirche im Eichwald gegeben !!!

Ich habe mich in allen meinen kleinen Erzählungen darum bemüht, möglichst Positives zu berichten, auch Lustiges und vor allem habe ich immer Wert darauf gelegt, niemandem auch nur im Entferntesten zu nahe zu treten. Beim Eichwaldfest hat mich gerade deswegen jemand angesprochen und gemeint, es kann sich doch nicht nur Angenehmes und Schönes zugetragen haben. Meine Antwort: "Ich wüsste natürlich auch anderes zu berichten, das ist nicht meine Sache, ich liebe es eher, Positives zu berichten und es macht mir auch Spaß, kleine Vorkommnisse möglichst locker darzustellen."
Man möge sich einmal in die Lage meiner Eltern versetzen. Vergleichsweise wäre das ungefähr so, als würde man heute ein Wohnhaus bauen in der absoluten Gewissheit, die angrenzenden Grundstücke sind kein Bauland und kurze Zeit darauf führt eine Umgehungsstrasse am Gartenzaun vorbei.
Zum Schluss möchte ich noch mal aus Nr.55 zitieren und dann bin ich befreit von allen negativen Erinnerungen:

 "Wer hat die Laus wohl diesen Herren,
die heut´ noch wären einzusperren
ins Hirn gesetzt. -Die kranken Geister?

"Bald zugeschmiert mit dicken Kleister!" Und diesen Kleister der Vergangenheit habe ich heute ein wenig aufgekratzt und der Wahrheit ein bisschen ans Licht verholfen.

Vielen Dank an Hubert  !



Gschichtle 101: "Ein Foto erzählt" von Hubert Ganter (22.8.09)
 

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