Gschichtle aus dem
Bühlertal
(30.9.2007)
Mein Bruder Karl und ich
etwa zwei Jahre vor Ankunft
unseres jüngeren Bruders
(Wir posierten sonntäglich
angezogen im Untertäler
Atelier des Fotografen
Ganter.)
sie nicht mehr reparieren können. Auf
dem Heimweg vom Untertäler Kindergarten war mir im vorhergehenden
Herbst bei der Häußler Bertel(4) im Schaufenster eine
Puppe aufgefallen, die ich meiner Mama einmal ganz aufgeregt zeigte. Als
genau diese Puppe unter dem Christbaum lag, konnte ich es nicht fassen,
dass das Christkind meinen sehnlichsten Wunsch geahnt und sogar erfüllt
hatte. Ich kleidete die geliebte Puppe täglich um und führte
sie im Puppenwagen spazieren, aber auf Dauer störte mich, dass ich
sie nicht füttern konnte und dass sie sich nicht bewegen und sprechen
konnte. Deshalb zog ich manchmal unseren jungen Katzen Puppenkleider an
und legte sie in den Puppenwagen. Einmal badete ich ein Kätzchen so
hingebungsvoll, dass es die Prozedur nicht überlebte.
Wenn ich aber ein kleines Geschwisterchen
hätte, wäre das natürlich wie eine lebendige Puppe! „Du
muesch aber Zuggerle vors Fenschder lege. Wenn der Schdorch se hold, bringd
er ä Kind“(5), fuhr mein Vater fort. Das musste er mir nicht zweimal
sagen. Noch am selben Abend legte ich mehrere Zuckerwürfel vor das
Küchenfenster und stellte am nächsten Morgen erfreut fest, dass
sie verschwunden waren. Der Storch hatte sich also auf den Handel eingelassen!
Außer der Möglichkeit, vom Klapperstorch
ein Geschwisterchen zu bekommen, hatte ich bereits von der mit dem
Kindelsbrunnen gehört.(6) Auf unseren Streifzügen durch
die nähere Umgebung hatte ich mit meinem Bruder an diesem einmal gelauscht
und vergeblich auf Kindergeschrei gewartet. Dass Kinder wie „Brunnemiederle“(7)
im Wasser leben sollten, kam mir sowieso eigenartig vor. Da vertraute ich
doch eher dem Storch. Wenn wir in Bühl in der Nähe des heutigen
Schwimmbads Heu machten, sah ich oft Störche durch die Wiesen stolzieren
und nach einem Frosch schnappen. Sie hatten zwar nie auslieferungsfertige
Kinder im Schnabel, aber vermutlich suchten sie untertags Nahrung um sich
für ihre schwierige Aufgabe zu stärken. Folglich führten
sie ihre Aufträge spät abends oder nachts aus.
Als ich wenige Tage später von der
Schule heimkam, war Mama nicht da. Meine Tante Elise, eine ledige Schwester
meiner Mutter, die bei uns im Haushalt wohnte, erzählte, dass Mama
am Morgen ins Storchenheim(8) gegangen sei. Das hörte sich spannend
an! Und überhaupt wollte der Storch unsere Bestellung erstaunlich
schnell ausführen. Am frühen Nachmittag eilte Vater nach der
Arbeit in der Bäckerei Zimmermann zu Mama. Der Storch war noch nicht
gelandet. Aber am nächsten Nachmittag kam Vater strahlend heim:
„Der Schdorch hed die Mama ins Bei gezwiggd und in Buä gebrochd“.(9)
Um Himmels willen! Ging das denn nicht ohne Biss? Am nächsten Tag
ging ich natürlich – besorgt und aufgeregt - auch mit ins Storchenheim.
links: Storchenheim; rechts: Krankenhaus
Mein erster Gedanke galt diesem Biss. „Mama,
zeig mol, wu dich der Schdorch nogebisse hed!“(10), rief ich und zog bereits
die Bettdecke weg. Zu meiner Enttäuschung konnte ich an beiden Beinen
meiner Mama keine Bisswunden oder zumindest blaue Flecken erkennen. Das
musste ein sanfter Storch gewesen sein! Schließlich nahm ich auch
meinen kleinen Bruder in Augenschein.
Die Begeisterung über mein Brüderchen,
das Bernhard getauft wurde, dauerte nicht lange. Wenn ich helfen durfte,
ihm das Schobbele(11) zu geben, war der schwere Kerl nicht so einfach wie
meine Puppe zu handhaben. Außerdem beraubte er mich bald meiner nachmittäglichen
Freiheit. Wenn Mama ihn im folgenden Frühjahr und Sommer zum Mittagsschlaf
hingelegt hatte und Vater auf dem Feld half, musste ich auf den kleinen
Bruder aufpassen. Nach den Hausaufgaben trieb ich mich mit meinem Bruder
Karle im Hof herum. Sobald Bernhard aufwachte und „roch“, sollten wir die
Windeln wechseln. Manchmal „überhörten“ wir in unserem Spieleifer
einfach sein Schreien. Meistens siegte aber das Pflichtbewusstsein. Dann
Mein Bruder Karl und ich mit dem kleinen Brüderchen
Bernhard
hievte mein Bruder Karle dem Brüderchen
die Beine hoch, während ich mit Stoffwindeln für Sauberkeit sorgte.
Mama war jedes Mal über die Unmenge Windeln entsetzt, die wir bei
unserer Putzaktion verwendet hatten. Zum Glück hatte Vater bald nach
Bernhards Ankunft ihr ihre erste Waschmaschine gekauft, und so musste
sie nicht mehr in dem großen Waschkessel waschen.
Jahre später fand ich ein Bild von
der Taufe meines jüngsten Bruders, das beweist, dass außer
Mein stolzer Vater, Albert Kögel,
mit der Armbruster-Hebamme bei der Taufe
meines jüngsten Bruders
dem Storch - und den Belegärzten - die
Armbruster-Hebamme(12) meiner Mama zu dem Kind verholfen hatte und zum
Dank dafür zur Taufe eingeladen worden war.
In den nächsten Jahren erfuhr ich von
Mitschülerinnen und älteren Spielkameraden, dass es noch eine
dritte geheimnisvolle Art gebe, damit eine Frau ein Kind bekomme. In diesem
Fall spiele sogar ein Mann eine Rolle. Nachdem ich Jahre später auf
diese Weise Söhne bekommen habe, kann ich im Nachhinein nur sagen,
dass die Kinderlieferung durch den Klapperstorch eigentlich die einfachere
Art gewesen wäre. Aber in den 1970er und 1980er wollte keiner mehr
etwas vom guten alten Klapperstorch wissen.
2 „Natürlich.“
3 August Vierthaler führte damals in
dem Haus unterhalb des „Grünen Baum“ einen Friseursalon. Seine
Puppenklinik bestand aus einem
Koffer mit Spezialwerkzeugen und Ersatzteilen für Schildkrötpuppen.
4 Bertel Häußler hatte gegenüber
dem „Deutschen Kaiser“ ein Spiel- und Haushaltswarengeschäft, das
ihr Sohn
Horst bis diesen Sommer weiterführte.
5 „Du musst aber Zuckerwürfel vor das Fenster legen. Wenn der Storch sie holt, bringt er ein Kind.“
6 Der Kindelsbrunnen war eine Brunnenstube
am Anfang des Butzengrabenwegs gegenüber dem Haus von Paul
Berberich, das es damals wie
die anderen Häuser noch nicht gab.
7 junge Wassermolche
8 Storchenheim hieß die Entbindungsstation neben dem Untertäler Krankenhaus.
9„Der Storch hat Mama in das Bein gezwickt und einen Jungen gebracht.“
10 „Mama, zeig einmal, wo der Storch dich gebissen hat!“
11 Babyfläschchen
12 Rosa Armbruster wohnte damals am Ende
der Untertäler Hauptstraße in einem alten Holzhaus vor der
heutigen Unterführung
zum Schwimmbad.
Offensichtlich wurden die Hebammen
früher zum Dank für ihren Beistand zur Taufe des Kindes und zum
anschließenden kleinen
Fest eingeladen.
Wie die Naber-Hebamme aus der
Liehenbach und die Obertäler Dehm-Hebamme gehörte die Armbruster-
Hebamme zu der Hebammengeneration,
die in einer Zeit, als es noch viele Hausgeburten in den
abgelegensten Ortsteilen gab,
bei Wind und Wetter zu Fuß in der „Mission Storch“ unterwegs
war.
Vielen Dank an Renate Baumann !
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