Gschichtle von früher
Als vor einigen Wochen an mein Bürofenster geklopft wurde, entstand kurz danach die Idee zu diesem kleinen Gschichtle. Bei dem „Klopfer“ handelte es sich um einen Autofahrer, dessen Fahrzeug nicht mehr so richtig wollte. Er klopfte an meine Scheibe, weil er Hilfe holen wollte. Natürlich ließ ich den Mann telefonieren. Er gehörte nicht etwa zu der seltenen Gruppe der „Handyverweigerer“. Nein, nur sein Handyakku war „leer“, genau wie seine Autobatterie. Bis Hilfe anrückte unterhielt ich mich mit dem Gestrandeten und erzählte ihm, dass wir früher in unserem „Tante Emilie Laden“ einen richtigen „Telefonserviceladen unterhielten“. Ja, von diesem Serviceparadies der 50er/60er Jahre möchte ich nun ein wenig erzählen. Es gab diesen Service in unserem Haus sicher auch schon früher, aber diese Zeit habe ich halt noch nicht erlebt. Und da ich Ende der 50er und in den 60er Jahren voll im Service eingebunden war, fällt mir das Erinnern leicht.
In unserem kleinen Geschäft wurde Kommunikation
ganz groß geschrieben. Sämtliche „Nachrichten“ aus Tal und Bergstaaten
konnten hier mühelos vervielfältigt werden. „Ein halbes Pfund
Butter und eine Stunde Nachrichtenaustausch“ standen sehr oft in direkter
Beziehung. Kein Wunder, dass für viele Eichwälder (darunter Tante
Emma - Emilie) eine Welt zusammenbrach, als unser Laden nach 75 Jahren
schließen musste (siehe Gschichtle 22).
Die Tür hinter der Waage führte in unser Büro.
Nun zu unserem fast „öffentlichen Fernsprecher“
meiner Kindheit. Der Standort des Bakelitapparates war weniger öffentlich,
denn das Siemens-Gerät stand nicht im Laden, sondern im angrenzenden
Büro auf unseren Rollschrank. Hier konnte man meist ungestört
telefonieren.
Den Rollschrank und das Telefon gibt es noch heute in meinem Büro
Zu dem Telefonkundestamm gehörten Nachbarn
ohne eigenen Anschluss, sonstige Kunden oder einfach nur „Durchreisende“
mit Kommunikationsbedürfnissen. Aber auch Schulkinder, Kindergarteneltern,
Handwerker ……….. baten oft um den Griff zum schwarzen Hörer. Eigentlich
wurden fast immer alle Wünsche erfüllt, obwohl mein Vater eigentlich
strikt untersagt hatte, während der Mittagessenszeit Telefonkunden
einzulassen. Aber der Kunde war halt König und so mussten wir oft
Gespräche von kürzerer oder längerer Dauer mit anhören,
wenn wir beim Essen saßen, denn unser Büro war gleichzeitig
unser Esszimmer!
Der Chef des Hauses - Konrad Weck
Es entstanden manchmal schon komische Situationen,
wenn uns nach Beendigung eines Gesprächs der Hintergrund des Anrufes
zur Unterhaltung beim Mittagessen erläutert wurde ………. Nachdem der
Telefonkunde das Geschäft dann schließlich verlassen hatte,
folgte oft noch ein klärendes Gespräch zwischen meinem Vater
und seiner Geschäftspartnerin Tante Emilie. Manchmal wurden diese
Gespräche auch lauter, sie bewirkten aber nur kurzfristige Änderungen.
Meine Tante war absolut „beratungsresistent“ – und wie schon gesagt: „Der
Kunde war König“. Ich fand diese „Störungen“ beim Mittagessen
immer spannend und phantasieanregend, denn ich überlegte mir
immer, was wohl der Angerufene gerade gesagt hatte.
Am Mittagsstisch saßen zu dieser Zeit: Tante Emilie, Oma Maria,
meine Mutter
und natürlich der Webmaster (Karin und Papa Konrad natürlich
auch).
Technisch hatten wir die Gespräche voll im Griff, denn extra für unsere Telefonkunden war ein schwarzer Gebührenzähler installiert worden. Er stand auf dem Schreibtisch gegenüber des „Telefonschrankes“ - nicht einsehbar für den Telefonbenutzer. Das war gut so, denn wenn man die Rückstellung vor dem Anruf vergessen hatte, konnte man immerhin eine „Gebührenschätzung“ vornehmen……
In unserem Büro - links meine Cousine Birgit - rechts in der Ecke
der Schreibtisch, darauf stand der Gebührenzähler.
So sah unser Gebührenzähler aus
Es gab aber auch eine ganz andere Seite unseres
Dienstleistungsunternehmens.
Sehr, sehr oft kamen auch Anrufe für
unsere „Telefonkunden“ in der Nachbarschaft.
Im günstigsten Fall musste nur etwas
ausgerichtet werden – nicht sofort, sondern beim nächsten Ladenbesuch.
Oft musste aber auch sofort eine Botschaft
weitervermittelt werden. Da kam dann z.B. ich ins Spiel. Verzögerte
Auslieferung der Nachrichten durch den Boten wurde dabei fast nie akzeptiert.
Manchmal musste auch nur die Bitte zum baldigen Rückruf
übermittelt werden. Teilweise wurde
auch direkt ein zweiter Anruf in 10 - 15 Minuten angekündigt, da musste
man natürlich Dampf machen, um den begehrten Gesprächspartner
rechtzeitig vor Ort zu schaffen.
Der Eichwald um diese Zeit
Mit der Anschaffung eigener Apparate in der
Nachbarschaft ließ das "Kundenaufkommen in diesem Geschäftsbereich“
natürlich merklich nach. Aber leider nicht nur in diesem Bereich,
was letztendlich auch zum Ende unseres Tante-Emilie-Ladens führte.
Unsere Telefonservicezeit war eine schöne
Zeit, auch gerade deshalb weil vieles noch überschaubar und selbstverständlich
war.
Ein Bild aus den 80ern vor der Schließung des Geschäftes:
Hinten v.l. Karin und Tante Emilie
davor ein Kunde und Nadine
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Nachtrag 4.10.10:
Dieter Meier schickte mir folgende Ergänzung
zum Gschichtle:
Eine Sache möchte ich zu Deiner neusten
Geschichte noch ergänzen: Telefone waren bis etwa 1970, bedenkt man
die Installation und den damit verbundenen technischen Aufwand, sehr, sehr
teuer. Und deshalb in vielen Privathaushalten eine Seltenheit. “Tante (Emma)
Emilie Läden“ waren deshalb für die Nachbarn eine sehr große
Hilfe! Und was Du sicherlich beim Schreiben einfach vergessen hast ist,
dass dieser „Telefonservice“ sehr, sehr oft für die Nachbarn auch
lebenswichtig gewesen ist. Ich kann mich erinnern, dass in meiner Kindheit
dieses „Emilie-Telefon“ häufig in Notfällen der direkte Draht
zum Arzt oder Krankenhaus gewesen ist! -
Deshalb „Danke an Emilie“ + Schöne Grüße
aus Bayern