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Gschichtle von früher



Gschichtle 123:
Serviceparadies im Eichwald
von Martin Weck
(3.10.10)



Als vor einigen Wochen an mein Bürofenster geklopft wurde, entstand kurz danach die Idee zu diesem kleinen Gschichtle. Bei dem „Klopfer“ handelte es sich um einen Autofahrer, dessen Fahrzeug nicht mehr so richtig wollte. Er klopfte an meine Scheibe, weil er Hilfe holen wollte. Natürlich ließ ich den Mann telefonieren. Er gehörte nicht etwa  zu der seltenen Gruppe der „Handyverweigerer“. Nein, nur sein Handyakku war „leer“, genau wie seine Autobatterie. Bis Hilfe anrückte unterhielt ich mich  mit dem Gestrandeten und erzählte ihm, dass wir früher in unserem „Tante Emilie Laden“ einen richtigen „Telefonserviceladen unterhielten“. Ja, von diesem Serviceparadies der 50er/60er Jahre möchte ich nun ein wenig erzählen. Es gab diesen Service in unserem Haus sicher auch schon früher, aber diese Zeit habe ich halt noch nicht erlebt. Und da ich  Ende der 50er und in den 60er Jahren voll im Service eingebunden war, fällt mir das Erinnern leicht.


In unserem kleinen Geschäft wurde Kommunikation ganz groß geschrieben. Sämtliche „Nachrichten“ aus Tal und Bergstaaten konnten hier mühelos vervielfältigt werden. „Ein halbes Pfund Butter und eine Stunde Nachrichtenaustausch“ standen sehr oft in direkter Beziehung. Kein Wunder, dass für viele Eichwälder (darunter Tante Emma - Emilie) eine Welt zusammenbrach, als unser Laden nach 75 Jahren schließen musste (siehe Gschichtle 22).

Die Tür hinter der Waage führte in unser Büro.

Nun zu unserem fast „öffentlichen Fernsprecher“ meiner Kindheit. Der Standort des Bakelitapparates war weniger öffentlich, denn das Siemens-Gerät stand nicht im Laden, sondern im angrenzenden Büro auf unseren Rollschrank. Hier konnte man meist ungestört telefonieren.

Den Rollschrank und das Telefon gibt es noch heute in meinem Büro

Zu dem Telefonkundestamm gehörten Nachbarn ohne eigenen Anschluss, sonstige Kunden oder einfach nur „Durchreisende“ mit Kommunikationsbedürfnissen. Aber auch Schulkinder, Kindergarteneltern, Handwerker ……….. baten oft um den Griff zum schwarzen Hörer. Eigentlich wurden fast immer alle Wünsche erfüllt, obwohl mein Vater eigentlich strikt untersagt hatte,  während der Mittagessenszeit Telefonkunden einzulassen. Aber der Kunde war halt König und so mussten wir oft Gespräche von kürzerer oder längerer Dauer mit anhören, wenn wir beim Essen saßen, denn unser Büro war gleichzeitig unser Esszimmer!

Der Chef des Hauses - Konrad Weck
Es entstanden manchmal schon komische Situationen, wenn uns nach Beendigung eines Gesprächs der Hintergrund des Anrufes zur Unterhaltung beim Mittagessen erläutert wurde ………. Nachdem der Telefonkunde das Geschäft dann schließlich verlassen hatte, folgte oft noch ein klärendes Gespräch zwischen meinem Vater und seiner Geschäftspartnerin Tante Emilie. Manchmal wurden diese Gespräche auch lauter, sie bewirkten aber nur kurzfristige Änderungen. Meine Tante war absolut „beratungsresistent“ – und wie schon gesagt: „Der Kunde war König“. Ich fand diese „Störungen“ beim Mittagessen immer spannend und  phantasieanregend, denn ich überlegte mir immer, was wohl der Angerufene  gerade gesagt hatte.

Am Mittagsstisch saßen zu dieser Zeit: Tante Emilie, Oma Maria, meine Mutter
und natürlich der Webmaster (Karin und Papa Konrad natürlich auch).

Technisch hatten wir die Gespräche voll im Griff, denn extra für unsere Telefonkunden war ein schwarzer Gebührenzähler installiert worden. Er stand auf dem Schreibtisch gegenüber des „Telefonschrankes“ - nicht einsehbar für den Telefonbenutzer. Das war gut so, denn wenn man die Rückstellung vor dem Anruf vergessen hatte, konnte man immerhin eine „Gebührenschätzung“ vornehmen……


In unserem Büro - links meine Cousine Birgit - rechts in der Ecke der Schreibtisch, darauf stand der Gebührenzähler.


So sah unser Gebührenzähler aus

Es gab aber auch eine ganz andere Seite unseres Dienstleistungsunternehmens.
Sehr, sehr oft kamen auch Anrufe für unsere „Telefonkunden“ in der Nachbarschaft.
Im günstigsten Fall musste nur etwas ausgerichtet werden – nicht sofort, sondern beim nächsten Ladenbesuch.
Oft musste aber auch sofort eine Botschaft weitervermittelt werden. Da kam dann z.B. ich ins Spiel. Verzögerte Auslieferung der Nachrichten durch den Boten wurde dabei fast nie akzeptiert. Manchmal musste auch nur die Bitte zum baldigen Rückruf
übermittelt werden. Teilweise wurde auch direkt ein zweiter Anruf in 10 - 15 Minuten angekündigt, da musste man natürlich Dampf machen, um den begehrten Gesprächspartner rechtzeitig vor Ort zu schaffen.


Der Eichwald um diese Zeit

Mit der Anschaffung eigener Apparate in der Nachbarschaft ließ das "Kundenaufkommen in diesem Geschäftsbereich“ natürlich merklich nach. Aber leider nicht nur in diesem Bereich, was letztendlich auch zum Ende unseres Tante-Emilie-Ladens führte.
Unsere Telefonservicezeit war eine schöne Zeit, auch gerade deshalb weil vieles noch überschaubar und selbstverständlich war.

Ein Bild aus den 80ern vor der Schließung des Geschäftes: Hinten v.l. Karin und Tante Emilie
davor ein Kunde und Nadine
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Nachtrag 4.10.10:
Dieter Meier schickte mir folgende Ergänzung zum Gschichtle:
Eine Sache möchte ich zu Deiner neusten Geschichte noch ergänzen: Telefone waren bis etwa 1970, bedenkt man die Installation und den damit verbundenen technischen Aufwand, sehr, sehr teuer. Und deshalb in vielen Privathaushalten eine Seltenheit. “Tante (Emma) Emilie Läden“ waren deshalb für die Nachbarn eine sehr große Hilfe! Und was Du sicherlich beim Schreiben einfach vergessen hast ist, dass dieser „Telefonservice“ sehr, sehr oft für die Nachbarn auch lebenswichtig gewesen ist. Ich kann mich erinnern, dass in meiner Kindheit dieses „Emilie-Telefon“ häufig in Notfällen der direkte Draht zum Arzt oder Krankenhaus gewesen ist! -

Deshalb „Danke an Emilie“ + Schöne Grüße aus Bayern



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