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von THOMAS SCHWITALLA
Was für schöne Pläne
der Eimsbütteler Turnverband (ETV) doch im Winter hegte. Der Klub
aus dem szenigen Hamburger Viertel wollte den Schwung der Fußballweltmeisterschaft
nutzen, um Werbung in eigener Sache zu machen, und plante ein Turnier mit
Hobbykickern, Motto: „Die wahren Weltmeister“. Tagsüber sollte auf
dem Kleinfeld gebolzt, abends gefeiert und im Fernsehen WM geguckt werden.
Eigentlich stand einer zünftigen Party nichts mehr im Weg.
Eigentlich. Denn als die Stadt Hamburg vom Vorhaben der rührigen ETVler Wind bekam, war es vorbei mit dem Spaß. Die Freizeitmannschaften könnten den Weltfußballverband Fifa verstimmen, fürchteten die Beamten und erklärten, das Turnier auf keinen Fall in den städtischen Veranstaltungskalender aufnehmen zu können. Überhaupt rate man, von dem Projekt Abstand zu nehmen. Ärger mit der Fifa sei programmiert, eine Klage mit hohem Streitwert sehr wahrscheinlich.
Das Patentamt hilft
Verrückte Welt: In Deutschland
beginnt bald die Fußball-WM, doch das Feiern wird verboten. Wie den
Hamburger Hobbykickern geht es nämlich vielen, die sich auf das sportliche
Großereignis gefreut haben. Wer der Fifa zu nahe kommt, dem wird
der Spaß gründlich ausgetrieben. Der Verband, der die WM ausrichtet,
setzt seine Rechte und die der Sponsoren radikaler durch als je zuvor.
Dass es dabei auch zu Absurditäten kommt, wird billigend in Kauf genommen
- schließlich geht es hier nicht um Sport, sondern ums große
Geschäft und sehr viel Geld.
Die Fifa hat nicht nur mit
den Fernsehrechten, die sie für etwa eine Milliarde Euro verkauft
hat, prächtig verdient. An die 40 Millionen Euro bezahlt zusätzlich
jeder der 15 Hauptsponsoren für seine Präsenz bei der WM. Mit
von der Partie sind unter anderem Coca-Cola, Yahoo, Hyundai, McDonald's
und Adidas. Daneben gibt es noch nationale Förderer wie die Bahn AG
oder den Heimwerkermarkt Obi, die noch einmal jeweils 13 Millionen Euro
bezahlt haben, um die WM werblich nutzen zu dürfen. Insgesamt dürften
zwischen 700 und 800 Millionen Euro auf diesem Weg an die Fifa fließen.
„Selbstverständlich schützen wir unsere Sponsoren, die viel Geld
für ihre Rechte bezahlt haben“, sagt Gregor Lentze, Fifa-Marketing-Mann
für Deutschland. So muss vom Dach der Hamburger AOL-Arena der Schriftzug
des Sponsors abmontiert werden. AOL ist Konkurrent des Fifa-Partners Yahoo.
Um diesen Schutz zu gewährleisten,
hat die Fifa mehrfach vorgebaut. Zum einen hat sie mit den Städten,
in denen WM-Spiele stattfinden werden, knallharte Verträge geschlossen,
die weite Bereiche um die Stadien unter Kuratel stellen. Zum anderen hat
sich die Fifa bereits im Jahr 2002 beim Münchner Patentamt mehr als
50 Begriffe schützen lassen, darunter Allgemeinplätze wie „WM
2006“ oder „Dortmund 2006“.
Gegen diese Vereinnahmung der
Begriffe regt sich Widerstand. Vor allem der Süßwarenhersteller
Ferrero liegt mit dem Verband im Clinch. Seit 1982 legt das Unternehmen
seinen Schokoriegeln „Hanuta“ und „Duplo“ Sammelbildchen der deutschen
Nationalspieler bei. Das will die Fifa nun untersagen. Am 27.April wird
der Bundesgerichtshof entscheiden.
Die meisten Firmen haben weder
die finanzielle Kraft noch den Mut, um gegen die Fifa anzutreten. Wer aufbegehrt,
wird, so berichtet ein Betroffener, „mit unglaublicher Arroganz abgefertigt“.
Gerne verweist die Organisation bei diesen Gelegenheiten auf ein „Fifa-Gesetz“,
das ihr weit reichende Kompetenzen gewähre. Nur: In Deutschland gibt
es ein solches Gesetz gar nicht.
Der Fußballverband verfolgt
eine eigene Logik. „Die Weltmeisterschaft“, meint Lentze, „ist kein Allgemeingut,
sondern eine Privatveranstaltung der 207 Fußballverbände.“ Eine
denkbar bizarre Privatveranstaltung: Allein in den deutschen WM-Stadien
stecken etwa 600 Millionen Euro an öffentlichen Geldern, von der Infrastruktur
ganz zu schweigen. Doch das ficht die Züricher Fußballbarone
nicht an. Mit sicherem Machtinstinkt versuchen Sepp Blatter und sein Weltverband,
das Gastgeberland während der WM zu unterwerfen. Am liebsten hätte
Blatter extra Fahrstreifen und Polizeibegleitung für seine VIP-Gäste.
Das klappt zwar nicht, aber immerhin hat der Schweizer für die Fifa
und ihre Geschäftspartner eine Steuerbefreiung herausgeschlagen– das
sollte der Privatmann einmal versuchen.
Die Regelungswut der Fifa-Offiziellen
dringt bis in hinterste Winkel. So ist unklar, ob Bäcker die beliebten
„WM-Brote“ anbieten dürfen. Je nachdem, wie der Bundesgerichtshof
Ende April entscheidet, drohen Schadensersatzklagen durch die Fifa. Dass
der Verband in diesen Dingen keinen Spaß versteht, hat er bei der
WM vor vier Jahren bewiesen. Damals ließ die Organisation gut 3,1
Millionen Produkte beschlagnahmen und klagte in etwa 1700 Fällen erfolgreich.
Firmen, die mit der WM in irgendeiner
Form werben wollen, müssen höllisch aufpassen. „Der Beratungsbedarf
ist enorm“, sagt Stefan Engels, Anwalt in der Kanzlei Lovells und Partner.
Er rät zu Kreativität und Vorsicht. Sonst könnten sie „schnell
in den Verdacht der unlauteren Rufausbeutung“ kommen. Engels Kanzlei profitiert
von den Schikanen: Für die Zeit der WM halten sich die Anwälte
bereit. „Denn dann“, so Engels, „werden sich die Fälle häufen.“
Glück haben die Zuschauer.
Sie dürfen auch ins Stadion, wenn sie ein T-Shirt eines Nicht-Sponsors
wie Puma oder Nike tragen. Das mag wie die größte Selbstverständlichkeit
klingen, war aber lange fraglich. Weniger gut kommt das HSV-Museum in der
AOL-Arena davon: Das darf zwar während der WM öffnen, aber nicht
an den beiden Tagen vor einem Spiel in Hamburg und am Spieltag selbst.
Grund für die Einschränkung: In den Räumen werden zu viele
Utensilien ausgestellt, die nicht von einem der WM-Sponsoren stammen.
Betroffen vom WM-Fieber in
der Hansestadt ist auch die nur einen Steinwurf vom Fußballstadion
entfernt gelegene Color-Line-Arena. Die Halle hatten die Fifa-Verantwortlichen
zunächst in ihre Planung integriert und forsch erklärt, einen
Monat lang dürfe dort keine Veranstaltung stattfinden – ohne mit dem
privaten Eigentümer gesprochen oder sich Gedanken über dessen
Einnahmeausfälle gemacht zu haben. Erst nach langer Vermittlung durch
die Stadt lenkte die Fifa in einigen Fragen ein.
Der Ärger mit dem Weltverband
bedrückt die die Stimmung in der fußballverrückten Hansestadt.
Das sonst brave „Hamburger Abendblatt“ titelte: „Die Fifa gängelt
Deutschland“, die Einzelhändler sind verstimmt, die Wirtschaft unzufrieden.
Karl-Heinz Blumenberg vom Stadt-Marketing will von offener Kritik aber
nichts wissen. Er glaubt weiter daran, dass „die WM eine launige Fußballparty
wird“. Sein Optimismus ist Pflicht: Keine Stadt will sich mit der Fifa
anlegen – aus Angst, künftig bei der Vergabe von Länderspielen
außen vor zu sein.
Finanzielles Desaster
In München hat die Fifa
das alte Grünwalder Stadion fünf Wochen als Trainingsgelände
geblockt – Miete zahlen will sie nicht. In Zeiten, in denen Jugendabteilungen
um ein paar Bälle kämpfen müssen, wollte die Münchner
Stadtverwaltung nicht mitspielen. Sie schickte den WM-Ausrichtern eine
Rechnung über 15000 Euro, die nun für Verdruss sorgt. In Stuttgart
wird darüber gestritten, ob der Name der neuen Porsche-Arena neben
dem WM-Stadion verhüllt werden muss – Hyundai, nicht unbedingt ein
direkter Wettbewerber der Sportwagenbauer, aber Topsponsor, könnte
sich gestört fühlen.
Für einige Städte
könnte sich das Fußballfest sogar zum finanziellen Desaster
entwickeln. Da nur die offiziellen Fifa-Partner in den Veranstaltungskalendern
werben dürfen, reißen die Broschüren Löcher in die
Kassen. Auch die Refinanzierung der öffentlichen TV-Übertragungen
zum Beispiel auf Großleinwänden ist fraglich, denn auch da dürfen
nur Fifa-Partner auftreten.
Vor einem ganz besonderen Problem stehen
die Kicker des SV Bühlertal in Baden. Als die hörten, dass sich
die englische Nationalmannschaft auf der Bühlerhöhe einquartiert,
boten die Amateure ihren neuen Fußballplatz als Trainingsgelände
an. Doch die Freude, als Gastgeber der Stars um David Beckham dienen zu
dürfen, ist längst verflogen. Denn inzwischen hat die Fifa den
braven Südbadenern klipp und klar erklärt, dass sie auf der eigenen
Anlage rein gar nichts mehr zu sagen haben.
Das Clubhaus dürfen sie nicht mehr betreten, wenn die Stars in der Nähe sind, den Rasen sowieso nicht. Ob ein öffentliches Training stattfindet, ist unklar. „Die Fifa will das in Karlsruhe ausrichten“, sagt ein Vereinsmitglied. „Wie sollen wir uns freuen, wenn wir ausgeschlossen werden?“ Wer die Einnahmeverluste trägt, die dem Club durch den Wegfall von zwei großen Turnieren entstehen, ist unklar. Die 15000 Euro sind aber fest in den Etat eingeplant. „Es ist ein Kampf um jeden Cent.“ Selbst auf seine Heimspiele muss der SV Bühlertal verzichten. Der Platz ist für die Engländer gesperrt. Dabei kämpft die 1. Herrenmannschaft um den Aufstieg in die Landesliga. Aber Sepp Blatter spielt eben in einer anderen Liga.
Die Organisation in Zahlen
Die Fifa wurde am 21.Mai 1904
in Paris ins Leben gerufen – damals unterzeichneten Bevollmächtigte
aus sieben Ländern die Gründungsakte. Heute hat die Organisation
207 Mitgliedsverbände. Die Fifa, die ihren Sitz seit 1932 in Zürich
hat, ist für die Verbreitung des Fußballsports zuständig
und für die Ausrichtung der Weltmeisterschaften. Beides macht sie
mit viel Erfolg: Über 200 Millionen Menschen spielen weltweit Fußball,
und die WM hat sich zu einem großen Geschäft für die Fifa
entwickelt. Allein die Fernsehrechte für die Endrunde 2006 in Deutschland
spielen über eine Milliarde Euro ein. Die Sponsoren steuern weitere
700 bis 800 Millionen Euro bei. Der Weltverband beschäftigt rund 270
Männer und Frauen. Der Gewinn lag 2004 bei 100 Millionen Euro. Der
Schweizer Sepp Blatter ist seit 1998 ihr Präsident.
© Rheinischer Merkur
Nr. 14, 06.04.2006
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