Gschichtle von früher
Ich konnte gerade ein bisschen lesen und dann diese Anrede H e r r Ganter! Ich war sehr stolz, irgendwann werde ich ein richtiger Herr sein und bin es schließlich auch geworden.
Wenn wir im Religionsunterricht besonders
gut mitgemacht haben und Herr Pfarrer Schneble mit uns zufrieden war, hat
er uns etwas vorgelesen. Unvergesslich das Buch "Das hölzerne Bengele".
Wir waren begeistert, waren doch diese letzten Minuten, oder auch Viertelstunde,
viel wichtiger und interessanter als Katechismus-Fragen wie: "Wozu sind
wir auf Erden? "u.ä., wobei wir die Antworten wörtlich wiedergeben
mussten. Könnte sie auch jetzt noch geben!
Erst im fortgeschrittenen Alter kam die
Erkenntnis, dass es sich beim "hölzernen Bengele" um das Buch Pinnocchio
handelte, aber so "gebildet" wie die Kinder heute sind, waren wir natürlich
nicht, wir waren mit der einmalig schönen Übersetzung ins Deutsche
hoch zufrieden und mir ist auch heute noch des " B e n g e l e " in guter
Erinnerung.
Ein Lesestoff ganz besonderer Art war der
Jahreskalender "Lahrer hinkender Bote ". Es handelt sich um den ältesten
Kalender Deutschlands und erschien, erscheint seit 18oo!! Er war in jedem
Haushalt zu finden, war in unserer Gegend so verbreitet wie die Bibel,
wahrscheinlich mehr gelesen als selbige?! und enthielt neben allen kalendarischen
Daten auch die Namen der Heiligen, Anweisungen zur Aussaat, Haushaltstipps,
Wettervorhersagen, und, und ....und vor allem Erzählungen und interessante
Kurzgeschichten. Kurzum, ich habe alles gelesen.
Letztes Jahr besaß ich die Stirn,
in einer großen Buchhandlung in der Kaiserstrasse nach diesem Kalender
zu fragen. Ich war selbst unsicher, ob es so etwas überhaupt noch
gibt. Und so war auch die ungläubige Reaktion des Verkäufers.
Grosse Augen und Unverständnis ob meines Wunsches. Ich musste ihn
regelrecht dazu bewegen, diesen ominösen Titel "Lahrer h i n k e n
d e r Bote" in den Computer einzugeben. Mit Erfolg! "Aber das ist nur ein
regional begrenztes Buch!"" Habe ich Ihnen doch gesagt, das gab es in Mittelbaden
.....!"
Kurzum, das Werk wurde für Januar 2009
bestellt und abgeholt und war, außer der äußeren Aufmachung,
eine einzige Enttäuschung. Ich hatte noch eine bestimmte Vorstellung,
aber dieser Kalender ist als Buch hohl und leer, für mich nichts sagend
und wurde umgehend ungelesen in das Bücherregal gestellt. Man hängt
oft an alten Dingen, die es eben nicht mehr gibt.
Weiterer alter Lesestoff aus der Region
Auch die Bibel musste gelegentlich als Lesestoff
herhalten - kaum zu glauben, aber wahr. Besonders die Josefsgeschichten
waren so spannend wie ein Roman und gingen ans Gemüt. Übrigens,
im Unterricht musste man, wenn man unglücklicherweise an die Reihe
kam, die als Hausaufgaben zu lernenden Geschichten Wort für Wort aufsagen,
keine Abweichungen vom "Original!" Ich halte mir heute noch zugute, dass
ich als Lehrer (gab anfänglich auch Religionsunterricht ) etwas sensationell
Neues eingeführt habe.
"Wenn ihr die biblische Geschichte mit eigenen
Worten nacherzählen könnt bin ich zufrieden, dann weiß
ich, ihr habt euch damit beschäftigt und etwas gelernt!"
Das kam bei den Schülern gut an und
vor allem die Eltern begrüßten diese Neuerung sehr.
Wenn schon bei der Bibel, dann eine kleine
Story neueren Datums:
Die Zeugen Jehovas machen oft Hausbesuche
und sprechen auch bei Gelegenheit Personen an. OK !
Ich war solch eine passende "Gelegenheit",
wartend vor einem "Klamottenladen" in der Kaisertrasse. Lieber draußen
warten und "Gelegenheit" spielen als drinnen diese Qualen auf mich zu nehmen.
Ein Zeuge Jehovas spricht mich an, ich lasse
erkennen, dass ich nicht ganz ohne Bibelkenntnisse bin und er verabschiedet
sich freundlich. Wir gehen durch die Kaiserstrasse und ganz zufällig
sehe
in einer Auslage ein große Bibelausgabe mit Illustrationen von Salvatore
Dalli. Kurz entschlossen nehme ich sie mit und der Zufall will es, dass
ich unter den vielen Menschen meinen "Bibel-Partner" von vorhin sehe. Ich
nicht dumm, spreche ihn in der Weise an wie er es sonst tut und präsentiere
ihm die neu erworbene Bibel. Ich hatte den Eindruck, dass er zum ersten
Mal selbst in Sachen Bibel angesprochen wurde. Er war hoch erfreut jemand
mit einer Bibel zu sehen, wenn auch nicht genau die Ausgabe in seinem Sinne.
Es war sicher ein guter Tag für ihn. Auch für mich!
Ein Buch mit ganz besonderer Geschichte ist
mein Gesangbuch, das ich zur ersten heiligen Kommunion erhalten habe.
Ein und dasselbe Buch bekam mein ältester
Bruder Walter zur Kommunion. Es war besonders schön, mit weichem Einband,
Goldschnitt, einfach gut und teuer. Dann verschwand es offensichtlich,
denn auch der zweitälteste Bruder Lothar bekam zur Kommunion dieses
schöne Gesangbuch.
Dann verschwand es.........
Auch der drittälteste Bruder Bruno
bekam ............, dann verschw............
Ich war der Letzte in der Reihe, bekam dieses
"Wunderwerk" und durfte es auch behalten. Es hat mir viele Jahre treu gedient,
wurde auch "renoviert", geklebt bis zum Ende seiner Tage.
Ein wesentlicher Fortschritt und eine segensreiche Einrichtung war für mich die Bibliothek im Schwesternhaus, offensichtlich eine Einrichtung der Pfarrgemeinde. Sie wurde betreut von einigen Frauen (des Kirchenchores) und war jeden Sonntag nach dem " Amt" geöffnet (an anderer Stelle erwähnt).
Man konnte auch mehrere Bücher ausleihen; sie waren alle in derselben Farbe eingebunden und mit einer Nummer versehen. Eine prima Sache. Spontan erinnere ich mich an die "Schildbürger", an Karl May -Erzählungen und vor allem an Robinson Crusoe. Dieses Buch habe ich im Laufe der Zeit nicht weniger als dreimal gelesen!
Ein besonderes Buch mit sehr schlimmem Hintergrund war das erste Schullesebuch direkt nach Kriegsende. Ich nehme an, dass ich gerade in der 5.Klasse war und mit Dingen konfrontiert wurde, die einfach unvorstellbar waren. Neben den üblichen Lesestoffen war das Buch angefüllt mit Berichten und vor allem mit grauenvollen Fotos aus Konzentrationslagern, und das in allen Einzelheiten. Ich sehe das Buch noch genau vor mir, es war kartoniert, dunkelbraun und führte uns Kindern in authentischen Dokumenten vor, was in den letzten Jahren geschehen war.
Meersburg
Eine Bibliothek besonderer Art erlebte ich
im Internat in Meersburg. Nicht die Schule als solche stellte sie uns zur
Verfügung, sondern unser Religionslehrer. Ein Mann, den ich nie vergessen
werde. Er wohnte im Internat in einem einzigen Raum mit, wie man sagt,
Tisch, Bett und Schrank und besaß offensichtlich nichts als ein großes
Herz für seine Schützlinge. Das Wichtigste und Größte
in seiner "Wohnung" war eine umfangreiche Bibliothek. Er stellte uns nicht
nur seine Bücher zur Verfügung sondern auch noch sein ganzes
Zimmer als Aufenthaltsraum und Lesezimmer. So etwas gab es tatsächlich!!
Er selbst war den ganzen Tag unterwegs und beschäftigt. Er wurde von
uns so hoch eingeschätzt, dass wir immer davon sprachen: "Er wird
eines Tages Bischof in Freiburg sein!
Beinahe !! -
Er stieg tatsächlich auf bis zum Präses des Priesterseminars
in Sankt Peter und war dort zuständig für die angehenden Priester,
welche nach Vollendung ihres Studiums sich auf die Priesterweihe vorbereiteten.
Über einen späteren Besuch seiner ehemaligen Schützlinge
in Sankt Peter hat er sich sehr gefreut und ich traf ihn ein letztes Mal
bei meiner 2.Dienstprüfung in Gengenbach. Er hatte sich offensichtlich
wegen Krankheit dorthin als Präses des Klosters zurückgezogen.
Aber das "Sie" mir gegenüber bei der Religionsprüfung konnte
ich mir nicht gefallen lassen und so war ich wieder für ihn, wie schon
immer, der Hubert.
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Darf ich noch anmerken, dass sämtliche
Bücher und jeglicher Schulbedarf während der gesamten Schulzeit
von den Eltern bezahlt werden mussten. Die Lernmittelfreiheit habe ich
erst viel später als Lehrer "erlebt" und war nicht immer begeistert
davon. Die Mehrheit der Schüler ging mit den sozusagen "geschenkten"
Büchern pfleglich um, aber dennoch sage ich auch noch heute:
Was nichts kostet ist nichts wert!
Keine Lernmittelfreiheit damals !
Als Mitglied in einem Buchclub habe ich jeweils
Punkte angespart, um mir ab und zu ein schönes Buch leisten zu können.
Das war der übliche Weg, um an Bücher zu kommen, die dann wie
ein Schatz gehütet wurden. Ein sehr interessantes und spannendes Buch
kann niemals durch einen Film oder Musical auch nur annähernd dargestellt
werden. Die eigene Fantasie ist weitaus besser als alle Medien.
So war ich z.B. zweimal! in Hamburg, um
mir "Das Phantom der Oper" anzusehen. Zweifellos beeindruckend, besonders
die zweite Vorstellung! Aber als ich im Nachhinein das Buch von Gaston
Leroux, d.h. die Vorlage zu "Phantom der Oper" gelesen habe, war ich überzeugt:
Das Buch ist um Vieles besser als die schönste künstlerische
und noch so aufwändige Darstellung!
Vielen Dank an Hubert !