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Gschichtle von früher



Gschichtle 93:
Mageres Angebot an Lesestoff
Erinnerungen an meine ersten Bücher, meine ersten Kontakte zur "Literatur".
 von Hubert Ganter
(27.6.09)


Heutzutage an ein Buch zu kommen, nichts leichter als das! Unzählige Angebote für jedes Alter, unübersehbare Flut von Schriften aller Art, für jedes Alter und über jedes nur denkbare Thema. Schön und gut ist es, wenn sich Kinder und Jugendliche mit Lesen beschäftigen (würden). Ich habe selbstverständlich auch gerne gelesen, soweit überhaupt eine Chance bestand, an etwas "Lesbares" zu kommen.

Eine kleine Übersicht über meinen Lesestoff:
Während des Krieges gab es Kataloge über die verschiedenen Waffensysteme. Mein älterer Bruder Lothar, der offensichtlich gerne geschrieben hat, bestellte für mich einen Katalog über Kriegsschiffe. Es kam Post mit der für mich unvergesslichen Anschrift:
An
Herrn
Hubert Ganter
Bühlertal
Fritz-Plattner-Straße 5

Ich konnte gerade ein bisschen lesen und dann diese Anrede H e r r Ganter! Ich war sehr stolz, irgendwann werde ich ein richtiger Herr sein und bin es schließlich auch geworden.


Wenn wir im Religionsunterricht besonders gut mitgemacht haben und Herr Pfarrer Schneble mit uns zufrieden war, hat er uns etwas vorgelesen. Unvergesslich das Buch "Das hölzerne Bengele". Wir waren begeistert, waren doch diese letzten Minuten, oder auch Viertelstunde, viel wichtiger und interessanter als Katechismus-Fragen wie: "Wozu sind wir auf Erden? "u.ä., wobei wir die Antworten wörtlich wiedergeben mussten. Könnte sie auch jetzt noch geben!
Erst im fortgeschrittenen Alter kam die Erkenntnis, dass es sich beim "hölzernen Bengele" um das Buch Pinnocchio handelte, aber so "gebildet" wie die Kinder heute sind, waren wir natürlich nicht, wir waren mit der einmalig schönen Übersetzung ins Deutsche hoch zufrieden und mir ist auch heute noch des " B e n g e l e " in guter Erinnerung.

Ein Lesestoff ganz besonderer Art war der Jahreskalender "Lahrer hinkender Bote ". Es handelt sich um den ältesten Kalender Deutschlands und erschien, erscheint seit 18oo!! Er war in jedem Haushalt zu finden, war in unserer Gegend so verbreitet wie die Bibel, wahrscheinlich mehr gelesen als selbige?! und enthielt neben allen kalendarischen Daten auch die Namen der Heiligen, Anweisungen zur Aussaat, Haushaltstipps, Wettervorhersagen, und, und ....und vor allem Erzählungen und interessante Kurzgeschichten. Kurzum, ich habe alles gelesen.


Letztes Jahr besaß ich die Stirn, in einer großen Buchhandlung in der Kaiserstrasse nach diesem Kalender zu fragen. Ich war selbst unsicher, ob es so etwas überhaupt noch gibt. Und so war auch die ungläubige Reaktion des Verkäufers. Grosse Augen und Unverständnis ob meines Wunsches. Ich musste ihn regelrecht dazu bewegen, diesen ominösen Titel "Lahrer h i n k e n d e r Bote" in den Computer einzugeben. Mit Erfolg! "Aber das ist nur ein regional begrenztes Buch!"" Habe ich Ihnen doch gesagt, das gab es in Mittelbaden .....!"
Kurzum, das Werk wurde für Januar 2009 bestellt und abgeholt und war, außer der äußeren Aufmachung, eine einzige Enttäuschung. Ich hatte noch eine bestimmte Vorstellung, aber dieser Kalender ist als Buch hohl und leer, für mich nichts sagend und wurde umgehend ungelesen in das Bücherregal gestellt. Man hängt oft an alten Dingen, die es eben nicht mehr gibt.


Weiterer alter Lesestoff aus der Region

Auch die Bibel musste gelegentlich als Lesestoff herhalten - kaum zu glauben, aber wahr. Besonders die Josefsgeschichten waren so spannend wie ein Roman und gingen ans Gemüt. Übrigens, im Unterricht musste man, wenn man unglücklicherweise an die Reihe kam, die als Hausaufgaben zu lernenden Geschichten Wort für Wort aufsagen, keine Abweichungen vom "Original!" Ich halte mir heute noch zugute, dass ich als Lehrer (gab anfänglich auch Religionsunterricht ) etwas sensationell Neues eingeführt habe.

"Wenn ihr die biblische Geschichte mit eigenen Worten nacherzählen könnt bin ich zufrieden, dann weiß ich, ihr habt euch damit beschäftigt und etwas gelernt!"
Das kam bei den Schülern gut an und vor allem die Eltern begrüßten diese Neuerung sehr.

Wenn schon bei der Bibel, dann eine kleine Story neueren Datums:
Die Zeugen Jehovas machen oft Hausbesuche und sprechen auch bei Gelegenheit Personen an. OK !
Ich war solch eine passende "Gelegenheit", wartend vor einem "Klamottenladen" in der Kaisertrasse. Lieber draußen warten und "Gelegenheit" spielen als drinnen diese Qualen auf mich zu nehmen.
Ein Zeuge Jehovas spricht mich an, ich lasse erkennen, dass ich nicht ganz ohne Bibelkenntnisse bin und er verabschiedet sich freundlich. Wir gehen durch die Kaiserstrasse und ganz zufällig sehe in einer Auslage ein große Bibelausgabe mit Illustrationen von Salvatore Dalli. Kurz entschlossen nehme ich sie mit und der Zufall will es, dass ich unter den vielen Menschen meinen "Bibel-Partner" von vorhin sehe. Ich nicht dumm, spreche ihn in der Weise an wie er es sonst tut und präsentiere ihm die neu erworbene Bibel. Ich hatte den Eindruck, dass er zum ersten Mal selbst in Sachen Bibel angesprochen wurde. Er war hoch erfreut jemand mit einer Bibel zu sehen, wenn auch nicht genau die Ausgabe in seinem Sinne. Es war sicher ein guter Tag für ihn. Auch für mich!
 

Ein Buch mit ganz besonderer Geschichte ist mein Gesangbuch, das ich zur ersten heiligen Kommunion erhalten habe.
Ein und dasselbe Buch bekam mein ältester Bruder Walter zur Kommunion. Es war besonders schön, mit weichem Einband, Goldschnitt, einfach gut und teuer. Dann verschwand es offensichtlich, denn auch der zweitälteste Bruder Lothar bekam zur Kommunion dieses schöne Gesangbuch.
Dann verschwand es.........
Auch der drittälteste Bruder Bruno bekam ............, dann verschw............
Ich war der Letzte in der Reihe, bekam dieses "Wunderwerk" und durfte es auch behalten. Es hat mir viele Jahre treu gedient, wurde auch "renoviert", geklebt bis zum Ende seiner Tage.

Ein wesentlicher Fortschritt und eine segensreiche Einrichtung war für mich die Bibliothek im Schwesternhaus, offensichtlich eine Einrichtung der Pfarrgemeinde. Sie wurde betreut von einigen Frauen (des Kirchenchores) und war jeden Sonntag nach dem " Amt" geöffnet (an anderer Stelle erwähnt).

Man konnte auch mehrere Bücher ausleihen; sie waren alle in derselben Farbe eingebunden und mit einer Nummer versehen. Eine prima Sache. Spontan erinnere ich mich an die "Schildbürger", an Karl May -Erzählungen und vor allem an Robinson Crusoe. Dieses Buch habe ich im Laufe der Zeit nicht weniger als dreimal gelesen!

Ein besonderes Buch mit sehr schlimmem Hintergrund war das erste Schullesebuch direkt nach Kriegsende. Ich nehme an, dass ich gerade in der 5.Klasse war und mit Dingen konfrontiert wurde, die einfach unvorstellbar waren. Neben den üblichen Lesestoffen war das Buch angefüllt mit Berichten und vor allem mit grauenvollen Fotos aus Konzentrationslagern, und das in allen Einzelheiten. Ich sehe das Buch noch genau vor mir, es war kartoniert, dunkelbraun und führte uns Kindern in authentischen Dokumenten vor, was in den letzten Jahren geschehen war.


Meersburg

Eine Bibliothek besonderer Art erlebte ich im Internat in Meersburg. Nicht die Schule als solche stellte sie uns zur Verfügung, sondern unser Religionslehrer. Ein Mann, den ich nie vergessen werde. Er wohnte im Internat in einem einzigen Raum mit, wie man sagt, Tisch, Bett und Schrank und besaß offensichtlich nichts als ein großes Herz für seine Schützlinge. Das Wichtigste und Größte in seiner "Wohnung" war eine umfangreiche Bibliothek. Er stellte uns nicht nur seine Bücher zur Verfügung sondern auch noch sein ganzes Zimmer als Aufenthaltsraum und Lesezimmer. So etwas gab es tatsächlich!! Er selbst war den ganzen Tag unterwegs und beschäftigt. Er wurde von uns so hoch eingeschätzt, dass wir immer davon sprachen: "Er wird eines Tages Bischof in Freiburg sein!
Beinahe !!     -  Er stieg tatsächlich auf bis zum Präses des Priesterseminars in Sankt Peter und war dort zuständig für die angehenden Priester, welche nach Vollendung ihres Studiums sich auf die Priesterweihe vorbereiteten. Über einen späteren Besuch seiner ehemaligen Schützlinge in Sankt Peter hat er sich sehr gefreut und ich traf ihn ein letztes Mal bei meiner 2.Dienstprüfung in Gengenbach. Er hatte sich offensichtlich wegen Krankheit dorthin als Präses des Klosters zurückgezogen. Aber das "Sie" mir gegenüber bei der Religionsprüfung konnte ich mir nicht gefallen lassen und so war ich wieder für ihn, wie schon immer, der Hubert.

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Darf ich noch anmerken, dass sämtliche Bücher und jeglicher Schulbedarf während der gesamten Schulzeit von den Eltern bezahlt werden mussten. Die Lernmittelfreiheit habe ich erst viel später als Lehrer "erlebt" und war nicht immer begeistert davon. Die Mehrheit der Schüler ging mit den sozusagen "geschenkten" Büchern pfleglich um, aber dennoch sage ich auch noch heute:
Was nichts kostet ist nichts wert!

Keine Lernmittelfreiheit damals !

Als Mitglied in einem Buchclub habe ich jeweils Punkte angespart, um mir ab und zu ein schönes Buch leisten zu können. Das war der übliche Weg, um an Bücher zu kommen, die dann wie ein Schatz gehütet wurden. Ein sehr interessantes und spannendes Buch kann niemals durch einen Film oder Musical auch nur annähernd dargestellt werden. Die eigene Fantasie ist weitaus besser als alle Medien.
So war ich z.B. zweimal! in Hamburg, um mir "Das Phantom der Oper" anzusehen. Zweifellos beeindruckend, besonders die zweite Vorstellung! Aber als ich im Nachhinein das Buch von Gaston Leroux, d.h. die Vorlage zu "Phantom der Oper" gelesen habe, war ich überzeugt:
        Das Buch ist um Vieles besser als die schönste künstlerische und noch so aufwändige Darstellung!
 

Vielen Dank an Hubert !



Gschichtle 94:
Mobil sein ist alles   -   Mobilität früher
Eichwälder-Fahrzeug-Ausstellung
 von Hubert Ganter
(4.7.09)
 

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