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Gschichtle aus dem Eichwald
Gschichtle 12
"Anspannung pur"
Das Kerzengeschäft
Komischer Titel für ein Gschichtle,
werden sie denken. Aber es gab früher wirklich eine bestimmte Zeitspanne
im Jahresablauf, in welcher in unserem Haus die höchste Anspannung
vorherrschte. Eigentlich nur bei einem Familienmitglied, aber da
meist nur ein falsches Wort genügte, den Gemütszustand der Person
in Wallung zu bringen, standen alle Hausbewohner "unter Strom".
Bei der Zeitspanne handelte es sich um die
Wochen vor dem Weißen Sonntag, bei der unter
Druck stehenden Person - um meine liebe
Tante Emilie. Ursachen für ihren angeschlagenen Gemütszustand
waren in diesen Zeiten ihre Sorgen um die Kommunionkerzen. „Werden sie
alle rechtzeitig fertig werden, werden sie alle bis zur Auslieferung heil
bleiben, werden alle richtig beschriftet sein, werden alle Mäntelchen
auch richtig schön fallen ……………????“
Fragen über Fragen wanderten ruhelos
durch ihr Gehirn.
Ja, wir verkauften jahrzehntelang fertig
geschmückte Kommunionkerzen, die am Samstag vor
dem Weißen Sonntag zwischen 17 Uhr
und 18 Uhr bei uns abgeholt wurden. Zu den turbulentesten Jahren gehörten
die 60iger Jahre, als es einmal über 100 Kommunionkerzen waren.
Im einzelnen lief die sehr kritische Phase
so ab: in den Wochen zwischen Weihnachten und Palmsonntag kamen die Kunden
und suchten sich Kerzen, Tropf, Mäntelchen, Schleife, Täschchen,
Kränzchen, Gebetsbuch…… aus. Tante Emilie saß dabei mit den
Käufern und Erstkommunikanten am kleinen Nierentischchen im hinteren
Teil des Ladens, beriet sie nach allen Regeln der Kunst und notierte alles
in ihrem Heft. Anschließend bestellte sie alle Einzelteile.
Ab dem Palmsonntag ging sie dann ans Werk. Mit größter Hingabe
fügte sie die Einzelteile zu einem Kunstwerk zusammen. Die Mäntelchen
wurden gebügelt, die Kerzen mit den Initialen der Kinder versehen,…..
Stop ! Den ersten Schritt, bis zur Revolution in der Kerzenpraxis
(als man auf die Ständer verzichtete), hätte ich fast vergessen.
Die Kerzen mussten ja früher zuerst in die schweren Metallkerzenständer
eingegossen werden. Dazu hatte ihr der Schindler Ludwig extra einen perfekten
Holzständer gebaut, der dafür sorgte, dass die Kerzen auch wirklich
gerade im Kerzenständer standen.
Er sah etwa so aus:
Auf dem Küchenherd machte unsere Emilie
im Emailtöpfchen Kerzenwachs flüssig, dann wurden immer 8 oder
10 Kerzen nacheinander eingegossen. Die festen Kerzen wurden dann
geschmückt und schließlich in
meinem heutigen Büro abgestellt. Dieser Raum war selbstverständlich
immer abgeschlossen, kein Unbefugter (z.B. unser Hund) durfte hinein.
Nach der oben bereits genannten Kerzenrevolution,
entfiel das Eingießen, dafür waren jetzt ganz andere Probleme
entstanden. Wie lagert man fertig geschmückte Kommunionkerzen, ohne
dass sie krumm werden - oder die mühsam gebügelten Mäntelchen
Schaden nehmen ?
Tante Emilie spannte also jetzt in ihrem
Lagerraum (ihr Wohnzimmer, mein heutiges Büro) Seile von Wand zu Wand.
Jeder Wandhaken wurde durch einen speziellen Emilie-TÜV überprüft,
natürlich auch die daran gespannten Seile. Die fertig geschmückten
Kerzen wurden dann im gebührenden Abstand voneinander am Docht mit
einem Draht an das Seil gewickelt. Es sah toll aus! Manchmal bis zu 80,
100 Kerzen in einem Raum aufgehängt, dazwischen nur kleine Durchgänge.
Allerdings hatte auch die beste Technik ihre Tücken, das waren die
Augenblicke, die für immer unvergesslich bleiben werden. Ja,
oft lag ein Kerzlein am Boden, es gab auch Seilbrüche………………………..
Teilweise kämpfte unsere tapfere Tante
auch gegen die Natur, denn der April konnte ganz schön warm werden
und der Raum heizte sich zu stark für die empfindlichen Kerzen
auf. In einem Jahr wurde der Weiße – Sonntag sogar in 2 Etappen durchgeführt.
Der 2. Termin lag dabei im Juli. Tante Emilie arbeitete in diesem Jahr
unaufhörlich mit nassen Betttüchern, die vor die Fenster zur
Kühlung aufgehängt wurden – was allerdings nicht besonders viel
half. Irgendwie sahen die Kerzen in diesem Jahr etwas gebogen aus.
Am Auslieferungstag herrschte dann bei allen
die größte Nervosität. Alle Familienmitglieder mussten
mithelfen, die kostbaren Stücke ins Erdgeschoss zu transportieren.
Unter der gnadenlosen Aufsicht von Emilie
wurden die Kerzen mit System im untersten Stockwerk deponiert. Jede gerade
Fläche diente als Ablage. Vorsichtig wurden die Kerzen mit Schmuck
nach einem Emilie-System abgelegt (nach der Revolution) oder abgestellt
(vor der Revolution). Keiner wagte, ihren Anweisungen zu widersprechen.
Jeder fürchtete sich vor einem endgültigen Zusammen – oder Ausbruch
unserer Kerzenspezialistin.
Es war ein unbeschreiblich befreiendes Gefühl,
wenn am Samstag um 18 Uhr die Glocken läuteten. Das war das Signal
für uns, aus der Trance zu erwachen, denn alle Kerzen waren ja jetzt,
nach einem gewaltigen Trubel in der Zeit zwischen 17 und 18 Uhr, aus dem
Haus. Alles war wie immer perfekt gelungen, jedes Kind hatte die richtige
Kerze mit dem richtigen Zubehör erhalten.
Die Anspannung wich von unserer Tante aber
erst nach und nach. Manchmal musste sie noch am Samstagabend oder Sonntag
nacharbeiten, wenn etwas zu Bruch gegangen war. Das tat sie natürlich
mit Freude, so konnte sie auch noch etwas aus dem Ersatzteillager einsetzen.
Die Weißen – Sonntage erlebte sie
auf jeden Fall alle mit viel Freude und Stolz in der Kirche.
Und ab dem Montag danach wurde bei uns wieder
alles viel, viel entspannter betrachtet. Zumindest für die nächsten
10 Monate…………………………
Ergänzung von Martina Müll im Gästebuch
am 23.4.06:
Die Homepage ist einfach toll. Ich bin immer
mit der Heimat verbunden. Ich war übrigens eine der Kommunionkinder
im Sommer 1967. Genau am 24. Juli. Wir hatten aber bei der Hitze nicht
nur mit den Kerzen zu kämpfen, sondern auch mit den Torten. Wir waren
übrigens recht viele Kommunionkinder. Ich meine mich an ca. 90 erinnern
zu können. Auf jeden Fall waren die Proben in der Kirche mit Pfarrer
Schneble immer sehr spannend und aufregend. Vor allem das Herunterlassen
der Kirchenbänke. Vielleicht kann sich die einer oder der andere auch
noch daran erinnern. Auch über die Anwesenheit in der Kirche vor der
Kommunion wurde genau Buch geführt.
Karin 1944
weitere
Bilder von früher
Solche Ständer gab es "vor der Revolution"
Danach sahen sie z.B. so aus !
zu
Gschichtle 13: Hesch du des au khet ????????? (25.4.06)
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