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Gschichtle von früher



Gschichtle 106:
"Einkäufe und Besorgungen  - Kontrastprogramm zu heute"
 von Hubert Ganter
(26.9.09)

Das Einkaufen als solches ist heute so bequem, das Angebot an Waren dermaßen vielfältig und auch verlockend und die entsprechende wöchentliche Papierflut im Briefkasten fast nicht mehr zu überbieten, so dass es für die Meisten unter uns sehr schwer ist, sich die Verhältnisse in früheren Jahren auch nur im Entferntesten vorstellen zu können. Da wir, was das Angebot betrifft, absolut keinen Grund zum Jammern haben, so jammert man eben heute gerne über die Preise (ich auch), da gibt es immer genug Gesprächsstoff. Falls es daran mangeln sollte hier ein paar Anregungen, sich über das Thema Einkaufen und Besorgungen in geselliger Runde auszutauschen.

Eichwald in den 40ern

Milchholen:
Wo?
Eine "Milch-Ausgabestelle"  - in anderen Orten ein "Milchhäusle" - war im Ortsteil Hof oberhalb der Schule (Haus oberhalb Wilfried Karcher). Dort konnte man die tägliche Ration Milch unter Vorlage der entsprechenden Marken (Lebensmittelkarte) holen.

Zuerst zum Begriff "Milch".
Sie sah zwar so aus und hatte - ich erlaube mir etwas zu übertreiben - einen leichten Blauschimmer so ähnlich wie heute die als so gesund angepriesene Molke - und wurde in so einer Art Messbecher mit einem Haken (kann an der großen Kanne eingehängt werden) in den Größen 1 Liter , 1/2 Liter und 1/4 Liter genau abgemessen. Die Milch wurde auf dem langen Weg von der Kuh bis in unsere verbeulte Kanne offensichtlich nicht nur einmal entrahmt. Wie sagt man so schön: "den Rahm abschöpfen". Wir waren jedenfalls fest davon überzeugt, dass es anderweitig selbstverständlich Schlagsahne zum Kuchen gab, während wir mit der "mageren" Magermilch vorlieb nehmen mussten. Ich habe ein paar Packungen H-Milch mit 3,5% Fett als Vorrat im Keller und bin vorerst mit Milch versorgt.
Wir hatten, wie auch alle anderen Buben, ein Milchkanne aus Aluminium, sehr verbeult, aber trendig! Eine neue und sogar glänzende Kanne war der reinste Horror und man musste sich deswegen vor den Kameraden schämen. Auf dem schmalen Herrenweg mit den vielen vorstehenden Mauersteinen und durch gelegentliches "Schlendern" war dieses Problem bald behoben.

Trendy

Wo noch?
Am Wochenende bekamen wir von unseren Verwandten auf dem Denni etwas Milch und wir wurden abwechselnd auf diese recht weite Strecke geschickt. Nichts Besonderes sollte man meinen.
Oh doch! Im Spätjahr, im Winter, es war dunkel, auf der ganzen Strecke nicht ein einziger Lichtschimmer!!, keine Straßenlampe, noch nicht einmal der kleinste Lichtstrahl aus einem Fenster, auf längerer Strecke auch kein Haus und das u.U. bei Schnee und Glatteis. Das einzige "Lichtlein", das ich hatte, war eine kleine Petroleumlampe, deren Schein kaum ein paar Meter weit reichte.
Es herrschte absolutes Verdunkelungsgebot, das streng überwacht wurde. Das Wort Angst kannte ich nicht, allerdings die Ängste, die man heute um die Kinder haben muss, waren völlig unbekannt und die Eltern machten sich in dieser Hinsicht keine Sorgen.

Kartoffeln:
Gelegentlich bekam die Gemeinde Bühlertal eine Lieferung Kartoffeln, die nun gemäß der Lebensmittelkarten aufs Kilogramm genau an die Bevölkerung verteilt werden konnte. Der LKW lud die ganze Ladung im Hof des "Stierstalls" ab. Dieses Gebäude war hinter der Linde (Kino) und der heutigen Apotheke.
Mit einem Leiterwägelchen standen wir nun in einer langen Schlange an, bis wir endlich unsere Zuteilung bekamen. Es war viel zu wenig, aber immer noch besser als gar nichts!

Blick zum Stierstall bei der Linde

Holzsuchen:
Man musste mit seinem Leiterwagen immer größere Strecken zurücklegen, um im Wald noch ein bisschen Holz zu finden. Auflesen durfte man nur dünnes Holz (Bengel) und Reisig, keinesfalls, was einem Scheit hätte ähnlich sein können. Hat man aber doch einmal ein etwas dickeres Stück gefunden, so wurde es unter dem Reisig versteckt, wollten wir uns doch nicht bestrafen lassen.
Ein kleines Erlebnis, das ich nie vergessen werde:
Auf dem Henkerweg begegnete uns ein LKW. Er hielt an. Der Fahrer war offensichtlich ein Bekannter von Walter. Nachdem er das Fenster heruntergekurbelt hatte reichte er meinem Bruder Walter ein Stück Speck !!!  herunter. Wir waren sprachlos, ein Wunder!
Man möge einmal versuchen, sich die Not in den Nachkriegsjahren vorzustellen.

Walter
Brotzuteilung:
Das Brot gab es, wie auch alles andere, nur auf "Marken".
Die zugeteilte Menge war zu wenig zum Leben und zuviel zum Sterben.
Nicht nur zu wenig, auch noch aus purem Maismehl, schön gelb, aber bitter und teigig. Man war froh überhaupt etwas zu bekommen.
Auch hier wieder ein ganz besondere Erinnerung:
Ich wurde zu s Schmidtbecke (Haabergstrasse) geschickt, um unsere Zuteilung zu holen.

S´Schmidtbecke in der Haabergstraße in den 20ern

    vorn von links:  Lina Schmidt und Eugen oder Albert Schmidt (Geschwister)
    Der rechte Mann ist unbekannt.
    hinten auf der Treppe: Anton Schmidt  (1870 - 1927), Großvater von Karl-Heinz Schmidt
 
 

Ich beschreibe mich mal so, wie mich die Bäckersfrau wahrgenommen hat:
Nur noch Haut und Knochen - bitte nicht mit Magersucht verwechseln!! - In diesem Zusammenhang noch ein vielgebrauchter Spruch meiner Mutter: "Wenn wir nur noch das `Gestell` erhalten, bis es wieder besser wird!" Das klingt makaber, war aber bittere Realität. Ich zeige noch heute bei entsprechendem Thema den "Umfang" meiner Oberarme. Erschreckend!
Zurück zu Frau Schmid. Sie hatte offensichtlich mit dem halbverhungerten Bub Mitleid und gab mir, das nicht nur einmal, mehr Brot mit als uns zustand. Auch so etwas sollte man nicht vergessen und ich bin froh, dass ich das niederschreiben kann.

In der Bäckerei Schmidt am Haaberg: Klara Schmidt und Verkäuferin Anneliese in den 60ern

Mein Bruder Lothar wurde eines Tages von einem kleinen Transportfahrzeug der französischen Besatzungsmacht überholt und ein Laib noch ungebackenes Brot fiel von der Pritsche auf die Strasse, direkt vor seine Füße. Er nahm den Laib natürlich sofort an sich und brachte ihn freudestrahlend nach Hause. Das Haus duftete bald nach frischgebackenen Brot, feiner als alle Wohlgerüche des Orients.

Hubert
Fisch:
Hier handelt es sich nicht um eine offizielle Zuteilung, sondern um einen "Sonderposten", ich nenne das mal so, weil uns damals schon unklar war, wie dieses "Wunder" überhaupt geschehen konnte.
Ihr wundert euch sicher über meine Darstellung, sie ist noch viel zu einfach bei der Dramatik, die heute niemand mehr verstehen kann.
Das kleine Geschäft Ihle (den Namen eben tel. von Lothar erfahren) befand sich auf der linken Straßenseite ausgangs Schönbüch hinauf zum Buchkopf.

Rechts das Haus Ihle heute


Hier gab es wohl früher Fisch

24.11.09 ergänzt:

Berta Ihle (in der Mitte) vor ihrem Laden früher (vielen Dank an Anja Kunzmann)

Wir erfuhren  von einer "Fischlieferung" und Bruno und ich machten uns schleunigst auf den Weg, geradewegs am heutigen Parkplatz entlang senkrecht den Wald hinauf und kamen zum Lebensmittellädchen Ihle. Das Fass mit den Fischchen, klein wie Ölsardinen, stand hinter dem Haus im Hof und wir bekamen tatsächlich eine ganze Kanne voll eingeschöpft. Kein Kännchen wie für die Milch, sondern eine rote   5  L i t e r   Kanne !! Unglaublich.
Als wir heimkamen fielen alle über diese Fischchen in einer Salzlauge  her und im Nu war die Kanne leer! Wasser aus dem Wasserhahn für unseren Durst war genügend vorhanden. Noch am selben Nachmittag ein erneuter Versuch, und wieder wurde uns die große Kanne bis zum Rand gefüllt. Noch ein weiteres Mal bekamen wir solche Fische, die man einfach in die Hand nahm und bis auf die Gräten, die Schwanzflosse und den Kopf abnagte.
Mit Geld, aber ohne Landwirtschaft, ohne Schnaps, ohne andere Tauschobjekte konnte man kaum überleben. Selbst die simpelsten kleinen Feuersteine für die aufkommenden Feuerzeuge waren mehr wert als Geld.
Noch eine ganz persönliche Sache, die es aber wert ist zu schreiben:
Mein Vater war ernsthaft und hat nie leichtfertig irgendetwas dahergeredet. Aber diesen Satz hat er auch noch Jahre später immer wieder gesagt:

      "Diese Fische haben mir das Leben gerettet!!"

Liebe Eichwälder, liebe Leser, ich scheue mich nicht, auch ganz persönliche Erfahrungen niederzuschreiben. Vielleicht könnte dieser Ausspruch dazu beitragen, mit dem Leben, wie es sich heute darstellt, zufriedener zu sein.
 

Vielen Dank an Hubert !



Gschichtle 107: "Ge  -  wie Gedankensplitter  - Teil IV "
 von Hubert Ganter (10.10.09)
 
 

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